Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Gelehrten weiter auf ihre Pulte zugingen, sprang die vermummte Gestalt vorsichtig von Regal zu Regal auf die Tür zu.
Unten drängte der ältere Gelehrte den jüngeren: »Ich will dich nicht vom Essen abhalten, Bruder Unger, aber meine Augen sind nicht mehr so scharf wie früher. Du solltest es dir besser selbst ansehen.«
»Ich bin dir immer gern behilflich, Bruder Ryn. Schließlich ist die Untersuchung des Dolchs von größter Wichtigkeit.«
»Ich möchte nur, dass du die Klinge mit deinen jüngeren Augen genau betrachtest. Sie gibt ein seltsames Licht ab. Ich kann nicht erkennen, ob es nur eine Spiegelung ist oder ob sich im Inneren des Nachtglases etwas befindet.«
Als die flüchtende Diebin diese Worte hörte, kam sie ins Stolpern und wäre fast vom letzten Regal gestürzt. Erst nach heftigem Rudern mit einem Arm fand sie das Gleichgewicht wieder, kauerte sich zusammen und wartete, bis sich ihr wild klopfendes Herz beruhigte. Die beiden wollten den Dolch untersuchen. Damit schwand jede Hoffnung, aus der Burg entweichen zu können, bevor der Diebstahl entdeckt wurde. Lautlos kletterte sie wieder auf den Steinboden hinab.
Die Stimmen waren jetzt so leise geworden, dass sie kein Wort mehr verstand. Sie spähte um die Ecke eines Regals. Die beiden Gelehrten waren stehen geblieben, um ihre Teller auf einem der kleineren Tische abzustellen.
Als sich der Jüngere wieder aufrichtete, war seine Stimme deutlicher zu hören. »Soll ich das Feuer wieder anzünden, Bruder Ryn?«
»Nein, nein, es dauert nicht lange. Komm mit mir, dann zeige ich dir den Dolch.«
Die beiden Kuttenträger verschwanden.
Die Frau huschte mit klopfendem Herzen zum Ausgang, drückte den Riegel nach oben und betete, die Angeln möchten nicht kreischen. Dann zog sie die Tür so weit auf, dass sie hinausschlüpfen konnte.
Gerade als sie sich rückwärts in den Gang schob, hörte sie von drinnen einen Ausruf der Überraschung. Man hatte den Diebstahl entdeckt! Rasch zog sie die Tür hinter sich zu und überlegte, wie sich der Riegel von dieser Seite blockieren ließe. Wenn sie die beiden Gelehrten einsperrte, konnte es lange dauern, bis jemand in diesem verlassenen Teil der Burg ihre Hilfeschreie vernahm. Plötzlich fiel ihr eine Lösung ein. Sie trat einen Schritt zurück und prallte gegen eine Person, die schweigend hinter ihr gestanden hatte.
Bevor sie reagieren konnte, fühlte sie sich von zwei kräftigen Händen an den Ellbogen gepackt. Die Arme wurden ihr schmerzhaft nach hinten gerissen. Der Angriff kam so unerwartet, dass ihr die Luft wegblieb. Sie versuchte, sich aus dem Griff des Fremden zu befreien, und trat ihm mit voller Wucht auf die Zehen.
Jetzt war er es, der zurücksprang und nach Atem rang, aber ihre Arme ließ er nicht los.
Dann stieß er sie so unsanft gegen die Bibliothekstür, dass sie sich den Kopf anschlug und ihr Sterne vor den Augen tanzten.
»Was hast du hier herumzuschleichen?« schrie der Unbekannte, rammte ihren Kopf noch einmal gegen die Tür und drückte sie dann mit seinem ganzen Körper dagegen. »Antworte!« zischte er ihr ins Ohr.
Ihre Lippe war aufgeplatzt, sie schmeckte das Blut auf der Zunge. Sprechen konnte sie nicht. Nur innerlich wimmerte sie. So dicht vor dem Ziel. So dicht.
Plötzlich wurde die Tür von innen geöffnet. Sie fiel zusammen mit dem Fremden über die Schwelle, und beide landeten in einem wirren Knäuel vor den Füßen des jüngeren Gelehrten. Die Frau wollte sich die Überraschung zunutze machen, um sich zu befreien. Doch der Angreifer war kein Dummkopf. Sie schlug mit Armen und Beinen um sich, und er ächzte und fluchte, ließ aber nicht locker. Als sie versuchte, sich seinem Griff mit einer ruckartigen Drehung zu entwinden, zerriss sie sich dabei nur den Umhang. Der Dolch fiel heraus und schlitterte über den Steinboden. Blitzschnell wollte sie danach greifen, aber der Gelehrte kam ihr zuvor und hob die Waffe auf.
»Da haben wir ja unseren Dieb!« triumphierte der junge Ordensbruder.
Mit dem Verlust des Dolches schwanden auch ihre Kräfte. Wieder drückte ihr Gegner sie mit seinem vollen Gewicht zu Boden. Ein verzweifeltes Stöhnen entfuhr ihr. So dicht …
Sie wehrte sich nicht, als sie auf den Rücken gedreht wurde, ohne dass der andere seinen Griff gelockert hätte. Durch einen Tränenschleier sah sie, wem sie in die Hände gefallen war. Das feuerrote Haar, die zornig blitzenden grünen Augen waren ihr nur allzu bekannt. Der Bruder der Hexe. »Prinz Joach!« wimmerte
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