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Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung

Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung

Titel: Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clemens
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Folge zogen Bilder vor Mikelas innerem Auge vorbei. Ein Reh erstarrt beim Anblick eines Wolfs. Ein Mensch fällt auf alle viere, verwandelt sich in einen Wolf mit schneeweißer Mähne und rast davon.
    Stöhnend vor Ungeduld trat Mikela ihr Pferd abermals, aber Grisson warf nur den Kopf und wieherte vor Schreck. Ferndal hatte Recht. Der Wallach war bereits an die Stimme des Gespensts verloren. Sie glitt aus dem Sattel. Die einzige Hoffnung lag in der Flucht. Nur womit sollte sie fliehen?
    Sie drehte sich um und wollte Grisson die Hand auf die Nase legen, um ihn zu beruhigen, aber er schnappte nach ihren Fingern. Das Pferd war vor Angst wie von Sinnen. Es war aussichtslos. Mikela wollte ihm die Satteltaschen abnehmen, doch Ferndals leises Knurren ließ sie innehalten.
    Sie zog die Hand zurück. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Sie trug wohl schon so lange Menschengestalt, dass sie festgefahren war im Denken der Menschen. Wenn sie von hier entkommen wollte, konnte sie weder Tasche noch Schwert mitnehmen. Sie wandte sich dem Baumwolf zu. »Lauf«, sagte sie und befahl ihrem Körper, sich zu verwandeln.
    Unter der Lederkleidung und dem Untergewand begann das Fleisch zu zerfließen, und die Knochen bogen sich zu neuen Formen. Sie schüttelte die Menschenkleider ab und ließ sich auf alle viere nieder. Ein letztes Zittern durchlief sie, und plötzlich hatte sie einen schneeweißen Pelz, krallenbewehrte Pfoten und eine lange, schmale Schnauze, die prüfend die Luft einsog. Sie sah die Welt mit anderen Augen, und ihre Nase entdeckte unsichtbare, nur mit Duftmarken gekennzeichnete Pfade.
    Die Pinselohren stellten sich auf, als das Geheul des Grim Geists zu ihr drang. Er war fast da. Mikela warf einen letzten Blick auf Grisson und auf das Häufchen Kleider mit den Schwertgurten und wurde von tiefer Trauer erfasst. Es war, als ließe sie einen Teil von sich selbst zurück, aber für sentimentale Gefühle war jetzt keine Zeit. Das Einzige, was sie mitnehmen konnte, war die kleine Schlange, die sich im Fell ihrer Vorderpfote vergraben hatte. Die Paka’golo durfte sie auf keinen Fall verlieren. Mit ihrer Hilfe war sie in Port Raul dem Tod entronnen, und seither brauchte sie ihre Magik, um weiterzuleben.
    Sie machte auf der Pfote kehrt, überholte Ferndal und raste davon. Er folgte ihr. Zwei flüchtende Schatten, zwei Wölfe aus dem Wald, nicht mehr.
    Hinter ihnen stieß Grisson einen Schrei aus, wie Mikela ihn noch von keinem Pferd gehört hatte. Sie drehte sich um und sah gerade noch, wie etwas Schwarzes auf das treue Tier herabstieß, ein Fetzen Dunkelheit, der über Grisson herfiel.
    Die Panik des Pferdes stieg Mikela in die feine Nase wie beißender Metallgeruch. Sie wurde langsamer, drehte sich ein wenig zur Seite. Flieh, flehte sie stumm.
    Vielleicht hatte der Wallach sie gehört, vielleicht hatte er auch nur begriffen, von wo die Gefahr drohte, jedenfalls stürmte er endlich auf den schützenden Wald zu. Doch als er unter den Ästen einer Schwarzkiefer hindurchjagte, sank der schwarze Schatten durch die Zweige, und von unten schossen Wurzeln aus dem Boden und umschlangen seine Beine. Er wieherte noch einmal in Todesangst, dann gab er den Kampf auf.
    Das Gespenst ließ sich auf seiner Beute nieder und begann zu fressen. Zugleich verbog sich neben ihm der Stamm der Schwarzkiefer; die Äste scheuerten gegeneinander und verschlangen sich zu einem unauflöslichen Gewirr. Der Baum war nicht weniger Opfer als das Pferd. Der Grim Geist nährte sich nicht nur vom Fleisch des Tieres, er zehrte auch den Baum aus. Die Nadeln der Kiefer färbten sich gelb und rieselten zu Boden, während unter dem Fleisch des Pferdes das Skelett zum Vorschein kam. Es war, als würden beiden Geschöpfen gleichzeitig die Lebenssäfte ausgesaugt. Bald würde nur noch ein Haufen Knochen unter einem grotesk verkrümmten Grabmal liegen. Mehr ließ kein Grim jemals übrig.
    Mikela wandte sich ab, als die Schreie ihres Pferdes allmählich schwächer wurden. Sie durfte nicht länger zaudern. Sie sollten weit weg sein, bevor das Gespenst sein grausiges Mahl beendete und nach neuer Nahrung suchte. Niemand wusste, wie man einen Grim besiegen konnte. Es hieß, die Geister scheuten das Silber, aber das waren bloß Märchen. Auf Burg Mryl hatte man sie gelehrt, vor einem Grim schütze nur ständige Wachsamkeit. Jedem Angriff gehe dieses grausige Stöhnen voraus. Ein scharfes Ohr und ein schneller Rückzug seien die beste Verteidigung.
    Das beherzigte sie nun

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