Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
sah sie an und zuckte nach Wolfsmanier mit den Schultern, dann trottete er ans Flussufer und benetzte seine Zunge mit Wasser auch er wusste, dass es nicht ratsam war, sich nach einem langen Lauf satt zu trinken. Dann setzte er sich auf die Hinterbeine und lauschte mit gespitzten Ohren, ob irgendwelche Geräusche über das Wasser drangen.
»Sie sind weit weg«, sagte Mikela. »Ich denke, wir haben sie abgeschüttelt.«
Ferndal suchte den Blickkontakt, um mit ihr sprechen zu können. Bilder entstanden: Eine Bestie, wild und mit bläulicher Haut, folgt schnüffelnd der Fährte durch den Wald. Ferndal hatte Recht. Die Jagd war noch nicht zu Ende. Am besten wäre es, wenn sie das Lager unter dem Steinkogel erreichten und versuchten, sich auf einem anderen Weg zur Burg Mryl durchzuschlagen. Der Wald hier war zu gefährlich.
Vor drei Nächten hatten sie und Ferndal die anderen verlassen, um das Gebiet nördlich des Eisflusses zu erkunden. Sie waren einer Horde marodierender Zwerge in die Hände gefallen und hatten kaum das nackte Leben retten können. Dabei konnten sie noch von Glück reden, dass die Räuber keinen der Grim bei sich gehabt hatten. Den Missgestalten von den Furchthöhen wären weder Wolf noch Reiterin entkommen.
Meister Tyrus hatte sie einen vollen Mond lang im Eiltempo nordwärts durch die Wälder der Westlichen Marken gejagt und endlich am Steinkogel, einem Gipfel am Zusammenfluss von Eisfluss und Weidenbach, ein Lager errichten lassen. Nach den Berichten der Jäger und Fallensteller waren in den Wäldern nördlich des Eisflusses Mensch und Tier nicht mehr sicher. An den Lagerfeuern erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand von seltsamen Lichtern, die unvorsichtige Wanderer in die Irre führten, bis sie jämmerlich zugrunde gingen, von schrillem Wehgeschrei, das selbst die stärksten Männer vor Angst auf die Knie zwang, und von knorrigen, grotesk verkrüppelten Bäumen, die aussahen, als hätte man sie zu Tode gefoltert.
Mikela und Tyrus wussten die Zeichen zu deuten. Die Grim Geister aus den nördlichen Wäldern, den so genannten Furchthöhen, waren endgültig in die Westlichen Marken eingebrochen. Wenn man sie gewähren ließ, würden sie das ganze riesige Waldgebiet überschwemmen wie eine Seuche.
Selbst in diesem Moment ballte Mikela die Faust. Das würde sie nicht zulassen. Aber sie hatten nur eine Hoffnung: Sie mussten Burg Mryl erreichen, die Bresche im Nordwall schließen und damit die Barriere zwischen den kranken Furchthöhen und den unberührten Marken wiederherstellen. Mikela starrte über den Eisfluss hinweg auf den finsteren Wald. Sie mussten einen anderen Weg zur Burg finden.
Wie aus dem Nichts erschien Ferndal neben ihr. Ein leises Knurren drang aus seiner Kehle eine Warnung.
Mikela zögerte nicht, sondern zog sofort ihre Schwerter aus den überkreuzten Gurten auf dem Rücken. »Was ist, Ferndal?« zischte sie. Der Wolf hatte die schärferen Sinne.
Sie spürte eine Bewegung an ihrem Handgelenk, etwas glitt ihr wie mit Schuppen über die Haut. Die kleine regenbogenfarbene Schlange, die sie um den Arm trug, wand sich wie in einem langsamen Tanz. Sogar die Paka’golo, Mama Fredas Heilschlange, witterte das Unheil.
Mikela konzentrierte sich auf den Wald. Ferndal stand angespannt mit gesträubten Nackenhaaren an ihrer Seite.
Sie brauchten nicht lange zu warten. Ein Windstoß rauschte durch die Bäume, riss die Blätter von den Zweigen und wirbelte die trockenen Kiefernnadeln auf. Doch was ihnen durch Mark und Bein ging, war ein anderer Laut, ein dumpfes Stöhnen. Mikela zitterten die Schwerter in den Händen. Was da auf sie zuraste, war kein gewöhnlicher Wind.
»Flieh!« schrie Mikela. Das Versteckspiel war sinnlos geworden. »Wir treffen uns im Lager!«
Ferndal zögerte noch, aber Mikela schwang sich bereits in Grissons Sattel. »Unsere einzige Hoffnung liegt in der Flucht!«
Schon steigerte sich das Stöhnen zu schrillem Geheul.
»Ein Grim Geist!« schrie Mikela. »Flieh! Sie sind nicht zu besiegen!« Sie wendete Grisson. Das völlig verängstigte Pferd verdrehte die Augen, dass nur noch das Weiße zu sehen war. Schaum spritzte von der Trense. Mikela drückte ihm die Fersen in die Flanken, aber der Wallach zitterte nur und rührte sich nicht von der Stelle. Sie schlug ihm mit der flachen Hand auf die Kruppe, aber das Pferd blieb weiter wie angewurzelt stehen.
Ferndal war ein paar Schritte vorausgelaufen, doch nun schaute er zurück und beobachtete den Kampf. In rascher
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