Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
Schlamm besudelt. Sie lag auf der Seite, man hatte ihr brutal den Bauch aufgeschlitzt, ihre Eingeweide hatten sich über den Boden ergossen. Ein paar Schritte weiter entdeckte Mikela auch die beiden anderen Dro. Alle drei Schwestern waren grausam ermordet worden.
Doch so eifrig sie auch suchte, von ihren Gefährten Prinz Tyrus, Kral, Mogwied und Ni’lahn fand sie keine Spur. Stirnrunzelnd kehrte Mikela zu den Dro Leichen zurück.
Sie sprach ein Gebet für die Seelen der drei Toten, zog einer der Frauen die Lederkleidung aus und schnallte sich ihr Schwertgehänge mit den überkreuzten Scheiden auf den Rücken. Obwohl sie kaum noch die Kraft dazu hatte, passte sie ihre Gestalt der neuen Tracht an. »Ich werde euch rächen«, gelobte sie, als sie die beiden Schwerter in die Scheiden stieß.
Ferndal war weiter nach Westen gelaufen. Nun hörte Mikela ihn knurren und ging zu ihm.
Sie brauchte nicht die scharfen Sinne eines Wolfs, um festzustellen, dass der stechende Geruch in Ferndals Nähe stärker wurde. Der Wolf stand vor einem kreisrunden schwarzen Brandfleck mitten auf der Lichtung. Mikela kniete nieder und betastete die Oberfläche. Sogar die Erde war geschmolzen und zu einer glasigen Kruste erstarrt.
Bedrückt stand sie auf und betrachtete die Reste des zerstörten Lagers.
Wo waren die anderen? Was war hier geschehen?
In diesem Augenblick stieg endlich die Sonne über den Gipfel, und das Licht des neuen Morgens fiel auf das verwüstete Lager. Mikela wollte sich schon abwenden, da sah sie inmitten des verbrannten Flecks etwas glitzern und hielt inne. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn trat sie vorsichtig in den Ring. Der Waldboden war bis weit in die Tiefe verbrannt und hart wie Granit. Sie ging dicht an das glitzernde Ding heran, kniete ein zweites Mal nieder und beugte sich darüber.
Es war eine silberne Münze. Mikela wollte sie aufheben, aber sie war mit dem Boden verschmolzen, und die Schwertkämpferin musste ihre ganze Kraft aufwenden, um sie freizubekommen.
Sie stand auf, drehte das Geldstück zwischen den Fingern und betrachtete es genauer. Das Gesicht auf der einen Seite war ihr bekannt, es war der Kopf des alten Königs Ry, des Vaters des Prinzen Tyrus. Und auf der anderen Seite befand sich das Wappen der Familie ein springender Schneeleopard. Das Silberstück fest mit den Fingern umschließend, musterte sie den verbrannten Kreis. Das konnte Prinz Tyrus nicht überlebt haben.
Neben ihr setzte sich Ferndal auf die Hinterbeine. Bilder zogen an ihr vorbei. Er hatte im Lager keine Spur der anderen gefunden.
Sie steckte die Münze in eine Tasche. »Dann müssen wir sie eben suchen.«
Mogwied lag, an allen Gliedern gefesselt, auf der Seite im Wagen und stellte sich schlafend. Jedes Mal, wenn die Räder auf dem alten, ausgefahrenen Waldweg auf eine Unebenheit trafen, bekam er einen Schlag in den Rücken. Als der Wagen über eine besonders große Wurzel holperte, hätte er fast aufgekeucht vor Schreck. Er wurde drei Handbreiten hochgeschleudert und fiel mit einem dumpfen Aufprall auf die Bodenbretter zurück. Zu seiner Linken stöhnte jemand. Mogwied drehte vorsichtig den Kopf. Kral, der Hüne aus den Bergen, lag hinter ihm.
Durch ein vergittertes Fensterchen fiel ein schmaler Streifen Tageslicht in den geschlossenen Wagen, sodass Mogwied mit einiger Mühe Krals dichten schwarzen Bart und das frische Blut darauf erkennen konnte. Hoffentlich war der Gebirgler noch ohne Bewusstsein, denn sollte Kral einen Befreiungsversuch unternehmen, wären weitere Misshandlungen durch die Zwergensoldaten zu befürchten. Verstohlen warf Mogwied einen Blick durch den engen Wagen. Sie waren nur noch zu viert, bei weitem zu wenig, um gegen die zwanzig gut ausgerüsteten Zwerge zu kämpfen, die draußen neben dem Wagen marschierten.
Wäre ich nur nicht auf der Wache eingeschlafen, dachte der Gestaltwandler schuldbewusst. Doch dann biss er sich trotzig auf die Unterlippe. Nein! Er dachte nicht daran, die Verantwortung für das Geschehene zu übernehmen. Selbst wenn er wach gewesen wäre und das Lager rechtzeitig hätte warnen können, sie wären ihrem Schicksal nicht entgangen. Nördlich des Steinkogels gab es keinen sicheren Weg durch die Wälder. Er hatte die anderen oft genug beschworen, die Reise zur Burg Mryl aufzugeben, aber niemand hatte auf ihn gehört. Wenn sie nun Gefangene waren, hatten sie sich das ganz allein selbst zuzuschreiben.
Ich hätte mich absetzen sollen, als ich noch konnte, dachte er verdrießlich.
Weitere Kostenlose Bücher