Alasea 04 - Das Buch der Prophezeiung
sind schon unterwegs.«
Mikela hielt sich die Münze dicht an die Lippen. »Macht schnell …«
Kral starrte zu Tyrus hinüber, der auf der anderen Seite der Zelle auf einem Strohhaufen lag. Seit der Mann durch den Stein gewandert war, wirkte er aschgrau und in sich gekehrt. Genau so, wie Kral sich fühlte.
Der Prinz war vergangene Nacht unvermittelt aus der Zellenwand gebrochen und hatte ihnen allen einen gehörigen Schrecken eingejagt. Er hatte seine zerfetzten Kleider an sich gerissen, hastig seine Blöße bedeckt und gezischt, sie sollten sich ruhig verhalten, Hauptmann Brytton sei auf dem Weg nach unten, um nach ihnen zu sehen. Dann hatte er sich auf den Boden gelegt und so getan, als irre er immer noch ohne Verstand durch seine Albträume. Die anderen hatten sich in der Zelle verteilt, müde herumgelegen und hoffnungslose Gesichter gemacht.
Die Warnung des Prinzen hatte sich rasch bestätigt.
Schon wenige Augenblicke später hatten sie den stämmigen Hauptmann durch den Zellengang brüllen hören. Vor ihrem Käfig war er stehen geblieben, hatte durch die Gitterstäbe gestarrt und misstrauisch einen Insassen nach dem anderen gemustert. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass kein Gefangener entwichen war, hatte er wütend gebrummt und sich abgewandt.
Später hatte ihnen Tyrus berichtet, was er in den königlichen Gemächern erlauscht hatte im Norden sei ein finsteres Komplott im Gange, und ein Dämon halte den Körper seines königlichen Vaters besetzt. Doch seitdem schwieg er.
Als Kral die Neuigkeiten gehört hatte, war auch er in sich gegangen. Der Herr der Dunklen Mächte plante also Unheil im Norden in der Zitadelle. Die Vorstellung machte ihn tief betroffen. Diener oder nicht, Kral fand es unerträglich, dass das Heim seiner Vorfahren beschmutzt und womöglich von schwarzer Magik vergiftet werden sollte. Ein Loyalitätskonflikt tobte in seiner Brust: Die eine Bindung war im Dunkelfeuer geschmiedet worden, die andere war aus ewigem Stein. Im Laufe des Tages gelangte er, fast ohne es zu merken, zu einem Entschluss. Er hatte sich dem Herrn der Dunklen Mächte bereits widersetzt, indem er die Jagd nach der Hexe aufgab und hierher kam. Nun würde er diesen Weg auch bis zum Ende gehen. Die Zitadelle sollte wieder seinem Volk gehören, auch wenn er dazu die Pläne seines neuen Herrn durchkreuzen musste.
Irgendwann ergriff Mogwied, der gegenüber an der Zellenwand hockte, das Wort und holte Kral damit in die Gegenwart zurück. Der Gebirgler spürte, dass abermals die Dunkelheit hereingebrochen war. Mogwied stieß Tyrus in die Seite. »Ich verstehe immer noch nicht, warum du nicht einfach durch die Mauern gehen und die Schlüssel holen kannst. Befreie uns doch! Warum müssen wir in diesem Kerker verfaulen?«
Tyrus schüttelte den Kopf. Er hatte tiefe Schatten unter den Augen. »Und was dann? Vor den Burgtoren lagert eine Legion Zwerge. Man würde uns sofort wieder einfangen, und obendrein wäre mein Geheimnis verraten. Solange ich den Bewusstlosen spiele, gewinnen wir Zeit. Heute Nacht, wenn die Zellen nicht mehr so schwer bewacht werden, werde ich mich abermals aufmachen, um noch mehr in Erfahrung zu bringen. Vielleicht finde ich einen Weg in die Freiheit.«
Mogwied sank wieder an die Wand zurück. »Ich hasse das Warten.«
»Im Kochtopf eines Zwergs zu landen würde dir noch weniger behagen«, fuhr Ni’lahn ihn gereizt an. Die Nyphai hatte den ganzen Tag noch kein Wort gesprochen. Sie sah krank aus. Ihre Haut war fleckig, die Lippen trocken und eingesunken. Das Haar hing ihr glanzlos über die Schultern.
Tyrus stützte sich auf einen Ellbogen. »Hört auf, euch zu streiten. Ich mache mich wieder auf die Suche. Wenn die Wache schwach genug ist, kann ich versuchen, sie außer Gefecht zu setzen. Dann könnt ihr alle fliehen. Aber ich bleibe hier.«
Kral brummte: »Wenn du bleibst, bleibe ich auch.«
»Ich ebenfalls«, flüsterte Ni’lahn.
Alle Augen richteten sich auf Mogwied. Er stieß einen dramatischen Seufzer aus. »Allein will ich auch nicht fliehen.«
Kral nickte. »Dann sind wir uns einig. Tyrus, du suchst nach einem Weg, wie wir die Burg verlassen können. Ich habe von Geheimgängen gehört, die durch den ganzen Nordwall führen. Könnten wir vielleicht einen davon benutzen?«
Tyrus runzelte die Stirn. »Die Gänge sind lediglich ein Märchen. Sie existieren nicht wirklich. Es gibt nur einen einzigen geheimen Pfad, der als Fluchtweg für den Fall eines Angriffs gedacht ist. Allerdings
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