Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
wurde, aus dem Holz der Bäume winzige Männer und Frauen geschnitzt. Und diese Figuren hätte er mit seinen heilenden Händen und seiner tiefen Liebe zu den Wäldern zum Leben erweckt.«
»Kleine Holzmenschen«, höhnte Blott. »Warum vergeuden wir unsere Zeit mit solchen Hirngespinsten? Wollten wir nicht herausfinden, wer das Feuer angezündet hat?«
Tyrus sah ihn strafend an und bedeutete Schlag, mit seiner Geschichte fortzufahren. »Was ist aus diesem Magus geworden?«
Der blonde Pirat rieb sich das Stoppelkinn. »Schwarzhall wurde ihm zum Verhängnis. Als der Vulkan vor der Nordküste ausbrach, zerstörte er mit seiner Hitze und seiner Asche die Wälder. Alles Holz wurde in Stein verwandelt. Der Magus verschwand auf Nimmerwiedersehen.«
»Und damit ist deine Geschichte hoffentlich zu Ende?« fragte Blott und warf die Arme in die Luft.
Schlag schüttelte den Kopf. »Nein. Hundert Jahre später beginnt sie von neuem. Wieder erzählte man sich von einem Mann, der im Steinwald lebte. Doch diesmal hieß es, er sei aus Stein wie die Bäume und wandle mit einem kalten Herzen voller Rachegelüste durch den toten Wald.«
»Der Stein Magus«, sagte Tyrus.
Schlag nickte. »Bald wurde dieser Stein Magus von vielen verehrt, und man rief ihn zu Hilfe, wenn ein Haus oder ein Dorf Schutz brauchte.«
»Und du glaubst also, man hätte ihn auch hierher gerufen?«
Schlag sah auf die verwüstete Stadt zurück, die jetzt von Nebelschwaden verhüllt wurde, und senkte die Stimme. »Möglich wäre es«, flüsterte er. »Vielleicht genügte ein Blick des Magus, und alles Fleisch wurde zu Stein.« Wieder richtete er seine Augen auf die beiden Kindern hinter dem Busch. »Doch die Berichte weichen voneinander ab. Oft wird das Erscheinen des Magus weniger als Gnade geschildert denn als Fluch, dann ist er der Bösewicht, der das Gute zerstört. Viele Geschichten enden mit den Worten: ›Und eines sollt ihr niemals vergessen: Auch das Herz des Stein Magus ist zu Stein geworden‹.«
Tyrus drehte sich um und starrte nachdenklich auf das Feuer in der Mitte des Parks. »Ob Stein Magus oder nicht, hier ist vor kurzem noch jemand gewesen, und ich werde nicht fortgehen, bis ich mehr darüber weiß.« Er deutete auf den brennenden Holzstoß. »Seht zu, ob ihr feststellen könnt, wer dieses Feuer entfacht hat, danach können wir wieder abziehen.«
»Jawohl, Käpt’n.« Blott und die anderen schlichen durch den Park und näherten sich von verschiedenen Seiten dem Feuer. Dort angekommen, stellten sie sich mit dem Rücken zu den Flammen auf und beobachteten, jeder über seinen Schatten hinweg, das leere Gelände.
»Und was nun?« fragte Blott nach einer Weile ratlos.
»Wahrscheinlich sind wir zu vorsichtig gewesen. Etwas mehr Dreistigkeit kann nicht schaden.« Tyrus räusperte sich, holte tief Luft und rief in den Nebel hinein. »Hoho! Wir kommen in Frieden! Habt ihr vielleicht Nachricht von unseren verschollenen Gefährten? Jemand hat dieses Feuer angefacht. Wenn er in der Nähe ist, möchten wir ihn höflichst bitten, sich zu zeigen!«
Die Bitte verhallte ungehört über den Klippen.
Stock ließ sich von der anderen Seite des Feuers vernehmen. »Vielleicht sind sie geflüchtet, als sie uns kommen sahen. Die Menschen hier haben Schlimmes erlebt, vielleicht haben sie seither eine gewisse Scheu vor Fremden.«
Tyrus seufzte. Wenn Stock Recht hatte, mussten sie jede Hoffnung aufgeben, etwas über das Schicksal Wennars und seines Heeres in Erfahrung zu bringen. Doch wer auch immer das riesige Feuer angezündet hatte, er wollte damit vorbeikommende Schiffe anlocken: Dies war kein kleines Lagerfeuer, sondern ein Flammenzeichen, das weit durch die Nacht leuchtete. Wozu also das Versteckspiel?
Tyrus stand breitbeinig da und ließ den Blick durch den Park schweifen. Hatte womöglich ein Verehrer des Magus das Feuer angezündet, bevor er weiterzog? War ihre nächtliche Suche völlig vergeblich gewesen? Oder steckte doch mehr hinter der Sache? Wieder wandte er sich an Schlag. »Dieser Magus, wann …?«
In diesem Augenblick gab es einen dumpfen Knall, und jenseits der Klippen leuchtete es hell auf. Alle wandten sich dem Meer zu. Dort schoss prasselnd eine Feuerwand zum Himmel empor und fiel wieder in sich zusammen.
»Unser Schiff!« rief Tyrus.
Sie eilten an den Klippenrand. Tyrus kam schlitternd zum Stehen und schaute hinab. Ein schreckliches Schauspiel erwartete ihn. Die Schwarze Torheit lag noch da, wo sie festgemacht hatte, aber sie wurde
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