Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Ohren und schnürte ihm die Kehle zu. Sogar der Wind war verstummt, als wäre auch er erschrocken.
Tyrus schaute durch die Eingangstür. Die Räume lagen im Dunkeln. Er hatte keine Ahnung, was ihn dort drinnen erwartete, aber er hatte auch keine Wahl, er musste nachsehen. Der Magus war der Einzige, der wusste, wo sich Raal im Steinwald versteckte. Wenn es für seine Gefährten noch Hoffnung geben sollte, durfte Tyrus die Finsternis nicht scheuen.
Der Prinz fasste sein Schwert fester, stieg vorsichtig über das Geröll und überschritt die Schwelle. Die Diele dahinter war düster, und in den Gängen, die von ihr abgingen, herrschte völlige Dunkelheit. Tyrus hatte keine Fackel. Aber der Magus hatte sich auch so zurechtgefunden. Vielleicht fiel durch die zerbrochenen Fenster ein wenig Tageslicht.
Mit ausgestrecktem Schwert näherte Tyrus sich dem Gang, den der Magus genommen hatte. Sofort umfing ihn tiefe Finsternis. Er tastete sich Schritt für Schritt voran, das Schwert auf der Suche nach Hindernissen vor sich ausgestreckt. So kam er nur langsam voran. Seine Augen ermüdeten rasch. Er lauschte auf jedes Geräusch, das ihm den Weg zu seinem Ziel hätte weisen können.
Nach einer Weile stieß er auf einen Quergang und blieb stehen. Nach links schien der Weg ein klein wenig heller zu sein. Wahrscheinlich gab es dort ein Fenster. Aber wohin war der Magus gegangen auf das Licht zu oder davon weg? Tyrus runzelte die Stirn. Er hatte nur eine vage Ahnung, was sein Begleiter vorhaben mochte. Der Magus wollte sich seiner Vergangenheit stellen, er wollte dahin zurück, von wo er in diese kalte versteinerte Welt hinausgetreten war er wollte in den Keller seines verwunschenen Hauses.
Tyrus hielt es für aussichtsreicher, sich rechts zu halten, denn dort fiel der Gang ein wenig ab. Mit einem tiefen Atemzug wagte er sich in die Finsternis hinein. Sein Mut wurde prompt belohnt. Zu seiner Linken öffnete sich eine Treppe. Als er auf der obersten Stufe stehen blieb, hörte er ein Steinchen die Stufen hinabkullern.
Hatte der Magus diese dunkle Treppe genommen? War er womöglich gestürzt? War das die Erklärung für den Schrei? Hatte er sich den Steinkopf angeschlagen und das Bewusstsein verloren?
Nein, es war ein Aufschrei der Wut und des Entsetzens gewesen. Tyrus nahm eine Stufe, dann eine zweite. Die Treppe war schmal und steil, die Kanten bröckelten ihm unter den Füßen weg selbst bei Licht müsste man sich in Acht nehmen. Im Dunkeln war es geradezu lebensgefährlich. Und von nirgendwo kam auch nur der kleinste Schimmer.
Wieder hörte er Steinchen kullern, diesmal hatte er sie selbst losgetreten. Die schmale Treppe führte in beklemmend engen Windungen abwärts. Tyrus nahm eine Biegung um die andere. Endlich konnte er den Umriss seines Schwertarms erkennen. Es wurde heller! Von unten drang Licht herauf!
Er ging schneller. Mit jedem Schritt konnte er mehr unterscheiden: die Steinmauern, die ausgetretenen Stufen, die nächste Treppenwindung. Das Licht wurde kräftiger und bekam einen rötlichen Schimmer. Ein Feuer.
Wer mochte da unten ein Feuer angezündet haben? Tyrus hatte die letzte Stufe erreicht und hielt an. Von hier führte ein kurzer Gang zu einer offenen Tür. Dahinter flackerte ein Herdfeuer oder eine Fackel.
Das Geklapper der Steinchen und seine eigenen Schritte waren so laut gewesen, dass es sinnlos gewesen wäre, sich anschleichen zu wollen. »Magus!« rief er. »Alles in Ordnung?«
Lange blieb es unheimlich still dann hörte er leises Gelächter.
»Magus?«
Das Lachen wurde lauter und hallte von der Treppe wider. Hass und Irrsinn schwangen darin mit.
Plötzlich erkannte Tyrus, dass er sich getäuscht hatte. Das Lachen hinter ihm war kein Widerhall gewesen. Wieder kullerte von oben ein Steinchen herunter. Auf der Treppe hinter ihm war jemand.
Aus dem Keller ließ sich, so scharf wie brechendes Glas, eine Stimme vernehmen: »Komm hierher, Piratenprinz, denn hier hat alles angefangen.«
Wer gesprochen hatte, stand außer Zweifel. Das war nicht der Magus gewesen, sondern sein Geschöpf Raal.
Tyrus ging weiter. Er hatte dieses Wesen kennen lernen wollen jetzt konnte er keinen Rückzieher machen. Und nach den Geräuschen auf der Treppe zu urteilen, ließe man ihn vermutlich ohnehin nicht gehen.
Er schlich zur Tür und betrat den Keller. Der Raum war breit, aber nicht sehr tief. In einem Loch in der Wand steckte eine Fackel und beleuchtete alte, morsche Regale. In einer Ecke lagen etliche Leinensäcke.
Weitere Kostenlose Bücher