Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Alles war dick mit Asche und Staub bedeckt.
Der Stein Magus stand in der Mitte, so reglos, als sei er wieder zur Statue geworden. Er wandte Tyrus den Rücken zu.
Wieder war keckerndes Gelächter zu hören. »Sei mir gegrüßt, du Prinz aus Granit!«
Tyrus schob sich an der Wand entlang an der Gestalt des Magus vorbei, um seinen Gegner Raal ins Blickfeld zu bekommen.
Doch der Platz vor dem Magus war leer. Tyrus runzelte die Stirn. War Raal gleichzeitig in die andere Richtung gegangen, immer im Schatten der Statue, sodass er ihn nicht sehen konnte?
Tyrus vermutete einen Hinterhalt, zückte sein Schwert und blieb stehen. »Wer spricht da?« fragte er. »Zeige dich!«
»Du weißt doch, wer ich bin!« höhnte der andere. Der Stein Magus drehte den Kopf und starrte Tyrus an. Erneut strömte dieses Lachen von seinen steinernen Lippen. »Ich bin Raal, der Herr und König der Fai ne!«
Kast beugte sich über die Reling der Rabenschwinge und betrachtete das seltsame Meer unter dem Kiel des Schiffes. Als Blutreiter war er oft in tückischen Gewässern gesegelt: im Labyrinth des Archipels, in den Verdammten Untiefen mit ihren unberechenbaren Böen, in den verwunschenen Kanälen von Krie Krie und an den nebelverhangenen Küsten des Dschungels von Breschen.
Aber das Nordmeer im Umkreis von Schwarzhall war mit alledem nicht zu vergleichen.
Es war ein Ozean aus Eis und Feuer.
Überall in der T’lek Bucht schaukelten bläuliche Eisberge wie buckelige Seeungeheuer auf den Wellen. An anderen Stellen brodelte und dampfte das Meer wie ein Suppenkessel. Die Strömungen in der Bucht waren so unübersichtlich wie ein verheddertes Tau. Der Meeresboden war ein Irrgarten aus Vulkanriffen und zackigen Atollen, die nach Lust und Laune auftauchten und wieder verschwanden.
In diesem Meer war nichts von Dauer, weder der Wind noch das Wetter.
Kast hatte Wache, und Meister Edyll leistete ihm Gesellschaft. Der weißhaarige Mer’ai Älteste schüttelte besorgt den Kopf. »In diesen Gewässern Krieg zu führen wird sicher nicht einfach werden.«
Kast versuchte gar nicht erst, Zuversicht vorzutäuschen. Sein Gesicht blieb ernst.
»Wir müssten die Flotte bei Tagesanbruch erreichen«, sagte der Älteste.
»Vorausgesetzt, der Kapitän kommt mit diesen unbeständigen Winden zurecht.«
»Lisla ist eine starke Frau. Sie wird es schon schaffen.«
Kast nickte nur. In den vergangenen zwei Tagen hatte er vor dem zierlichen Kapitän der Rabenschwinge gehörigen Respekt bekommen. Lisla führte das Schiff mit fester Hand, sie hielt Ordnung und blieb trotz der zehrenden Krankheit, die ihre Magik schwächte, unermüdlich auf ihrem Posten. Das Elv’en Schiff war wie ein Blatt im Sturm über die Meere gefegt. Drei erfahrene Windbläser, Elementarmagiker, die Winde heraufbeschwören konnten, waren Tag und Nacht im Einsatz. Einer durfte immer ein Viertel des Tages ruhen. Die beiden anderen standen ihrem Kapitän jederzeit zur Verfügung.
Kast sah sich um. Lisla stand am Steuer. Ihr kupferrotes Haar wogte im Wind. Ihre Haut war so fahl wie die Wolken, die über den Himmel jagten. Die blauen Augen blickten noch genauso scharf und aufgeweckt wie beim Aufbruch vor zwei Tagen, obwohl Kast nicht sicher war, ob sie seither überhaupt geschlafen hatte.
Er bewunderte sie. Normalerweise hätte die Reise fünf bis sechs Tage gedauert; sie hatte es in der Hälfte der Zeit geschafft. Mit solchen Verbündeten an der Seite konnte man einen Sieg in dem bevorstehenden Krieg beinahe für möglich halten.
»Ich habe vorhin mit Xin gesprochen«, fuhr Edyll fort. »Er kann immer noch keine zuverlässige Verbindung zu Meister Tyrus aufbauen. Deshalb weiß er nicht viel mehr, als dass der Prinz noch am Leben ist.«
Der Mer’ai Älteste klang besorgt. Kast bemerkte, wie er sich die fleischige Schwimmhaut zwischen Daumen und Zeigefinger rieb. »Warum beunruhigt dich das so sehr? Wahrscheinlich liegt es nur daran, dass die Elementarenergien allgemein schwächer werden.«
»Nein. Xin hat heute Morgen mit Joach gesprochen, und ihn konnte er klar und deutlich hören, obwohl er noch weiter von uns entfernt ist als Meister Tyrus.«
Kasts Stirn bekam tiefe Falten. »Du glaubst also, der Prinz ist in Gefahr?«
»Und was ist mit dem Zwergenheer? Wohin ist es verschwunden? Meister Tyrus wollte an der Küste nach den Zwergen suchen, und nun ist er aus unerklärlichen Gründen nicht mehr zu erreichen. Das gefällt mir nicht. Der Herr der Dunklen Mächte hat bereits A’loatal mit
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