Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
er traurig, »… war kränklich, aber für ihr einziges Kind hatte sie immer ein Lächeln. Sie hat die Begabung an mich weitergegeben.«
Ein elementares Erbe, dachte Tyrus, das von einer Generation auf die andere übertragen wurde. Und jetzt war es auf die Fai ne übergegangen.
»Aber Raal …« Die Bitterkeit in den Worten des Magus war unüberhörbar. »Raal hat die Gabe meiner Mutter gestohlen und sie missbraucht.«
Tyrus seufzte. Er konnte nur hoffen, dass das kleine Geschöpf die Gabe noch hatte dann wäre es vielleicht imstande, das Zwergenheer und seine bei dem Städtchen zurückgebliebenen Gefährten zu befreien. Es war nur eine schwache Hoffnung, aber sie hatte den Prinzen immerhin bis in diesen öden Wald geführt.
Der Magus hatte die Anhöhe erklommen und sah hinab. Tyrus trat an seine Seite.
Unter ihnen lag ein kleines Tal ein Überbleibsel aus der Zeit vor der Entstehung Schwarzhalls. Ein Stückchen Wald war gerodet worden. Steinmauern markierten die Grenzen eines früheren Gartens. Ein kleines Nebengebäude aus Stein, jetzt ohne Dach, denn das Stroh war längst verrottet, mochte als Pferch oder kleine Scheune gedient haben. Auf der anderen Talseite klafften tiefe Löcher im Steilhang. In einigen blitzten noch Glasscherben wie die Zähne eines Raubtiers: Das waren die Fenster zur einstigen Wohnstätte des Magus. Ein größeres Loch am Fuß des Felsens, vor dem zerbrochene Steinplatten lagen, musste der Eingang sein. Davor gurgelte träge ein Bächlein mit giftig grünem Wasser. Alles roch nach Asche und Schwefel.
»Mein Zuhause …«, wimmerte der Magus. Es klang herzzerreißend. Dennoch machte er sich, fest entschlossen, in schmerzlichen Erinnerungen zu wühlen, an den Abstieg.
Tyrus folgte ihm. Er hatte keine andere Wahl er hatte auf dem Feld mit den versteinerten Zwergen die alte Wunde wieder aufgerissen, nun gab es kein Zurück mehr. Ohne sich um die Überreste der schmalen Brücke zu kümmern, durchwateten sie den kleinen Bach. Sie waren beide aus Stein. Was konnte ihnen das vergiftete Wasser schon anhaben?
Drüben ging der Magus auf den Eingang zu. »Seit ich damals in meiner Panik aus dem Rübenkeller flüchtete, bin ich nicht mehr hier gewesen.«
»Seit fünfhundert Jahren?«
Der Magus nickte und duckte sich, denn die Tür war niedrig. »Jetzt möchte ich allein weitergehen.«
Tyrus wollte protestieren. Was immer der Mann im Inneren des Berges vorfand, würde ihn wahrscheinlich in eine tiefe Schwermut stürzen, aus der er womöglich nie wieder herausfände. Aber mit dem Magus war nicht zu reden. Ein Felsblock, der einmal ins Rollen geraten war, ließ sich so leicht nicht mehr aufhalten.
Der Magus kletterte über die Trümmer vor dem Eingang und verschwand. Tyrus stellte fest, dass auch die Platten versteinertes Holz waren von der einstmals massiven Eichentür war nur ein Haufen Gesteinsbrocken geblieben.
Angewidert trat Tyrus von der Schwelle zurück. Ein leichter Wind pfiff durch die dürren Äste der umstehenden Bäume, die wie mit Knochenfingern am rauch und ascheverhüllten Himmel kratzten. Dies war das Reich des Herrn der Dunklen Mächte, ein kleiner Ausschnitt der Welt, die er erschaffen wollte.
Ein Eispanzer der Verzweiflung legte sich um das Granitherz des Prinzen.
Als er den Blick vom Himmel wandte, zog ein Farbfleck seine Aufmerksamkeit auf sich, der sich etwas weiter links deutlich von der aschgrauen Landschaft abhob: Eine kleine Blume wuchs aus einer Ritze zwischen zwei versteinerten Türbohlen. Es war ein kümmerliches Exemplar: ein grüner Stängel, ein paar halb eingerollte gelbe Blütenblätter, alles in allem nicht größer als ein Daumennagel. Aber es hatte sich durch den Stein geschoben, um für die Zeit seines kurzen Lebens ein klein wenig Farbe in die Welt zu bringen.
Tyrus lächelte. Er hatte nie etwas Schöneres gesehen. Eine wilde Entschlossenheit erwachte in seinem Herzen.
Sogar hier kämpfte das Leben also noch gegen die Verderbnis des Herrn der Dunklen Mächte an. Von neuer Hoffnung erfüllt betrachtete er weiter den öden Wald und den grauen Himmel Hinter ihm gellte ein Schrei aus den Tiefen der Behausung, ein Schrei der Qual, des Entsetzens, der Empörung.
Tyrus fuhr herum und riss sein Schwert, einen Splitter polierten Granits, aus der Scheide. »Magus!«
Der Schrei entschwebte in die Wälder und verklang.
»Magus!« brüllte Tyrus wieder. »Antworte mir!« Er wartete mit angehaltenem Atem, aber es kam keine Antwort. Die Stille lastete auf seinen
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