Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
eigentliche Wunder.
Im Herzen des schwarzen Schachts schwebte in langsamer Drehung ein Kristall von der Farbe eines klaren Morgenhimmels. Der Stein wuchs der Pforte entgegen und schwoll immer weiter an, bis er den Herzsteinring ganz ausfüllte.
Der Geiststein …
Sein Licht fiel auf die Gruppe, die sich vor dem unfassbaren Schauspiel zusammendrängte. Wieder fühlte Elena sich allen Lebewesen verbunden. Wie ein silbriges Leuchten spürte sie die Schönheit ihrer eigenen Lebenskraft, der Lebenskräfte aller in der Höhle Versammelten. In Merik und Ni’lahn erstrahlte zudem die Flamme des Elementarfeuers, ein winziges Fünkchen noch hellerer Magik.
Und da überfiel Elena eine bestürzende Erkenntnis. Die Energie aller Lebewesen und die silbrige Energie des Elementarfeuers sie waren ein und dasselbe. Sie starrte den Stein an. Für ihn galt das Gleiche. Der Kristall war eine Mischung aus Lebenskraft und Elementarsilber. Er war beides! Diese Erkenntnis zog eine zweite nach sich. Sie hatte einen solchen Kristall schon einmal gesehen.
Sie war nicht die Einzige, die diese Verbindung herstellte. »De’nal«, flüsterte Er’ril voll Trauer und Scheu.
Er hatte Recht, dachte Elena. Der Junge bestand aus dem gleichen Material: Lebenskraft und Elementarsilber, verschmolzen zu einer leuchtenden Kristallgestalt. Der Bezug war wohl von Bedeutung, aber Elena bekam den Faden nicht ganz zu fassen.
Im Herzen des Steins entstand ein schwarzes Pünktchen und stieg, umgeben von einer Wolke aus Silberfäden, zu ihnen empor. Tol chuk wich zu Er’ril und Elena zurück. »Die Hexe vom Geiststein.«
Elena war bereit. Ein letztes Mal drückte sie Er’rils Hand, dann stand sie auf und trat vor die Pforte.
Eine Gestalt wie aus schwarzem Ebenholz erschien darin, tauchte auf wie ein Schwimmer aus einem silbrigen Meer. Die Silberfäden teilten sich, von unsichtbaren Strömungen bewegt. Die Gestalt brach durch die Oberfläche, trat durch die Pforte und verharrte.
Es war eine Frau, und sie war nur in diese Wolke aus Silberfäden gehüllt. Elena sah, dass die Fäden wie Haare aus dem Kopf der Gestalt wuchsen, ihr über die Schultern bis zu den Fersen wallten und sie mit dem Inneren des Geiststeins verbanden.
In der Gegenrichtung raste die Energie des Kristalls, zu grellen Magik Strahlen gebündelt, an den Fäden entlang, traf Funken sprühend auf die dunkle Haut und zeichnete die Umrisse der Gestalt nach, sodass es aussah, als würde sie aus der Finsternis des Tores fortwährend neu erschaffen.
Doch davon nahm Elena kaum etwas wahr. Die Frau lächelte auf sie herab, und sie sah wie gebannt in dieses Antlitz. Es war ihr eigenes Gesicht! Ein wenig älter vielleicht. Nur die Augen waren wahrhaft anders, erfüllt von fremdem Wissen und uralter Magik.
»Svesa’kofa«, sägte sie.
Die Frau nickte. »Elena … endlich.« Worte und Lippenbewegungen stimmten nicht ganz überein.
Elena hatte es die Sprache verschlagen, aber die Gestalt lächelte so freundlich, dass ihre Zunge wieder auftaute. »Ich … ich habe so viele Fragen.«
»So ist das im Leben«, antwortete Svesa’kofa, »aber ich kann dir leider nur die Ratschläge geben, die deine Vorgängerin mir hinterlassen hat. Ich bin nicht mehr als der Schatten der Frau, die du Svesa’kofa nennst. Sie hat mich einst an den Stein gebunden, um dir durch mich eine letzte Botschaft zu übermitteln. Was ich während meiner Zeit als Hüterin des Steines erfahren habe, habe ich bereits Ly’chuks Abkömmling mitgeteilt.«
Elena nickte. Tol chuk hatte ihnen von seinem Vorfahren erzählt, sie kannte die Geschichte des Herrn der Dunklen Mächte, der in dieser Höhle seinen ersten Verrat begangen und sich damit den Namen Eidbrecher verdient hatte. »Was muss ich sonst noch wissen?« fragte sie. »Was für eine Botschaft hast du für mich?«
»Ich bin hier, um dir zu sagen, dass du gegen den falschen Feind kämpfst«, erklärte der Schatten der Hexe. »Schon die ganze Zeit über.«
»Aber der Herr der Dunklen Mächte sucht das Herz des Landes zu verderben. Das hast du selbst gesagt«, platzte Elena heraus.
Svesa’kofa nickte. »So ist es.«
»Wieso ist dann der Herr der Dunklen Mächte nicht unser Feind?«
Ein Zittern durchlief die leuchtenden Fäden. »Du hast nicht zugehört. Er mag ein Feind sein, aber er ist der falsche Feind. Lass die anderen, die du um dich geschart hast, gegen Ly’chuk und seine Finsternis antreten. Du aber mache dich bereit, die Gefahr zu bekämpfen, die wahrhaft diese
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