Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
…
Rasch warf sie einen Blick hinter sich. »Wer noch nicht bewegungsunfähig ist, soll sich bereithalten!« Sie drehte sich um, wehrte einen Blitz ab und schleuderte ihn zur Decke empor.
Von hinten wurde ihr Befehl bestätigt.
Sie richtete den Blick fest auf Harlekin Qual. Hoffentlich hatte sein Plan auch wirklich Hand und Fuß. »jetzt! Sturm auf die Pforte!«
Elena rannte durch einen Hagel von Blitzen. Zu beiden Seiten spurteten auch die anderen los: Merik mit seiner übernatürlichen Geschwindigkeit, Ferndal, Magnam und sogar Dorn auf ihren drei gesunden Beinen.
Die Anrennenden zogen von allen Seiten die Blitze auf sich, der Sturm auf die Geistpforte war ein gelungenes Ablenkungsmanöver.
Währenddessen setzte der kleine Mann im bunten Schellengewand unterhalb von Tol chuk unheimlich lautlos zum Sprung an, nackte mit so fließenden Bewegungen, als hätte er weder Knochen noch Muskeln, mit einer Hand Tol’chuks Fußknöchel, zog sich daran hoch und schnitt mit seinem Dolch den Beutel am Schenkel des Og’ers auf.
Sofort ließ er sich fallen, landete auf den Beinen, ging in die Knie, streckte die Hände aus und fing das Schwarzsteinherz auf, bevor es den Boden erreichte.
Dann sprang er damit unter Tol’chuks Körper hervor und strebte einem der Herzsteinpfeiler zu. Erst jetzt bemerkte einer der Geister den Mann und jagte einen Blitzstrahl auf ihn nieder.
Harlekin machte unter Schellengeklingel einen Satz und schlug einen zweifachen Salto. Schon hatte er den Bogen durchmessen und huschte, ohne innezuhalten, wie eine Spinne die Granitwand hinauf. Wieder schoss ein Blitz auf ihn zu, aber er war bereits im Sprung und stieß das Herz mit ausgestreckten Armen in die Höhlung, in die es sich so nahtlos einfügte.
Die drei Geister schrien auf.
Harlekin sprang zur Seite.
Der Bogen loderte hell auf und verströmte eine Lichtflut, vor der alle zurückwichen. Die Geister gingen mit lautem Geheul in Flammen auf und zerflatterten.
Auch Tol’chuks Fesseln lösten sich auf, er stürzte auf den Steinboden, fing sich ab und wandte sich sofort der Pforte zu.
Elena zog sich bis zu Er’ril zurück. Er streckte den Arm nach ihr aus. Sein Gesicht war blutüberströmt. Sie ließ das Schwert fallen und ergriff seine Hand. Der Druck, den sie schon im Tunnel gespürt hatte, wurde so stark, dass er sie zu ersticken drohte. Leise stöhnend beugte sie sich zu ihm. »Wie geht es dir?«
Er schnitt eine Grimasse. »Es könnte besser sein.«
Besorgt wandte sie sich dem Bogen zu. Die Wand inmitten des glühenden Herzsteins begann zu flimmern. Der Granit löste sich auf. Die Pforte öffnete sich. Das rubinrote Licht sickerte in den Steinboden und kehrte auf der anderen Seite wieder zurück. Der unterirdische Teil des Herzsteinrings wurde sichtbar.
Als das Licht den Schwarzsteinklumpen erreichte, schlug der rote Schein wie Wasser über ihm zusammen und löschte die Finsternis aus. Schließlich erstrahlte der gesamte Ring in einem Licht, das durch Mark und Bein ging.
Für einen Moment fühlte Elena sich ähnlich damit verbunden wie mit dem Blutschwert. Ihr Geist, ihre Seele verschmolz mit dieser Energie. Nur ging ihr Wesen jetzt nicht lediglich in eine Stahlklinge ein, sondern breitete sich nach allen Richtungen über einen so riesigen Raum aus, dass ihr Verstand die Grenzen nicht zu erfassen vermochte. Und sie erkannte, womit die Blutsbande sie vereinten.
Mit der ganzen Welt … allen Ländern, allen Völkern …
Einen Herzschlag lang spürte sie das Leben in seiner Gesamtheit. Einzelnen Fäden dieses Netzes, dieser Verbindung aller Lebewesen war sie schon früher begegnet aber noch nie war der Eindruck von Schönheit, Ebenmaß und schlichter Vollkommenheit aller Lebenskraft so stark gewesen.
Ihre Magik stimmte jubelnd ein in ihr Entzücken.
Das Glück erlosch so jäh, als hätte man eine Kerze ausgeblasen. Sie befand sich wieder in der Höhle. Der Druck, der auf ihr lastete, verschwand mit einem Schlag. Etwas schnürte ihr die Kehle zu, sie wurde von Schluchzen geschüttelt.
»Elena …?« Jemand drückte ihre Hand.
Sie konnte die Berührung nur stumm erwidern.
Der Ring aus Herzstein stand offen. Jenseits der Schwelle herrschte tiefe Finsternis, durchzogen von vielfach gegabelten Sprüngen und kreuz und quer verlaufenden feurigen Linien. Immer wieder blitzten sternschnuppengleiche Lichter auf und erloschen so schnell, dass ihnen das Auge kaum zu folgen vermochte. Doch dieses Feuerwerk bildete nur die Kulisse für das
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