Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Tagen brauchen würde. Aber sie sah nur eine junge Frau mit Schatten unter den Augen und tief eingegrabenen Sorgenfältchen.
Svesa’kofas Worte aus den Tiefen der Welt klangen ihr immer noch im Ohr: Elena Morin’stal, die du Hexen und Elv’en Blut in den Adern hast … Du wirst die Fäden in Händen halten, an denen das Schicksal der Welt hängt.
Elena fröstelte. Wie war das möglich? Sie hob ihre beiden rubinroten Hände. Es war kaum genug Magik für das, was man von ihr verlangte.
Sie seufzte. Mit jenem prächtigen Apfel, den sie einst im Obsthain ihrer Familie gepflückt hatte, hatte eine lange Reise begonnen. Nun schloss sich der Kreis, sie kehrte wieder an den Ausgangspunkt zurück. Sie hatte so manches über sich selbst und über die Herzen der Menschen erfahren. Sie hatte viele Freunde gefunden und zahlreiche Freunde verloren. Irgendeinen Sinn musste die lange Wanderschaft wohl haben, aber worin bestand er? Es konnte nicht nur um Macht und Magik gehen. Svesa’kofa hatte ihr geraten, auf ihr eigenes Herz und das Herz ihrer Gefährten zu hören. Elena ahnte, dass irgendwo auf dem langen Weg die Antwort verborgen lag und dass es höchste Zeit war, sie zu finden.
Wieder starrte sie in den Spiegel. Das Gesicht war ihr fremd. »Was weißt du?« flüsterte sie.
Die Fremde sah sie unglücklich an und schwieg.
Erneut wurde geklopft.
Elena schloss die Augen und kehrte in die Gegenwart zurück. Sie musste Er’ril Recht geben; sie hatte den Schlaf dringend nötig gehabt.
Sie nahm sich zusammen, ging endlich zur Tür und öffnete. Draußen stand ein junger Elv’e, der sie mit einer strammen Verbeugung begrüßte. Sie winkte ihm voranzugehen und eilte hinterher. Durch ein Gewirr von Korridoren und über eine kurze Treppe gelangten sie zur Kombüse auf dem Vordeck, die als Besprechungsraum diente.
Elena trat ein. Die Befehlshaber der verschiedenen Streitkräfte und viele ihrer Gefährten waren bereits versammelt. Alle erhoben sich. Der Stammesvater der Si’lura trug ein wallendes weißes Gewand, das sich leicht abwerfen ließ, wenn er sich in einen Steinadler verwandelte, die Gestalt, in der er seine Untertanen um sich zu scharen pflegte. Tol chuk und Joach hatten die Plätze neben ihm inne. Elena lächelte ihrem Bruder zu. Sie hatte sich noch nicht an sein neues Aussehen gewöhnt.
Jaston stand gegenüber am Tisch und hielt Cassa Dars Sumpfkind in den Armen. Das kleine Mädchen war immer noch sichtlich erschöpft und lutschte am Daumen.
Neben ihm hielten sich Merik und Ni’lahn an den Händen, und dahinter an der Wand hatten sich Magnam und Harlekin Qual, Ferndal und Dorn aufgereiht.
Er’ril wies Elena einen freien Platz am Tisch zu. »Wir hielten den Zeitpunkt für günstig, um letzte Überlegungen anzustellen«, sagte er. »Bald geht die Sonne unter, und wir sollten die Truppen bis zum Einbruch der Dunkelheit für den morgigen Angriff in Stellung bringen.«
»Wie weit ist es denn noch?« fragte Elena und nahm Platz.
»Meine vorgeschobenen Beobachter haben den Rand der Brandschneise erreicht«, antwortete der Stammesvater. »Sie liefern ständig Berichte.«
»Und die übrigen Truppen?«
»Die Windfee hält mit den Og’ern Schritt«, antwortete Tol chuk. »Wir rechnen damit, bis Mitternacht unser Lager am Rand des Tales aufschlagen zu können.«
Er’ril zeigte auf die Karte, die auf dem Tisch lag. »Sie wurde nach Cassa Dars Angaben gezeichnet. Wir werden die Og’er am Westrand des Tales postieren.« Er fuhr mit dem Finger eine Linie entlang. »Bei Tagesanbruch umzingeln Hun’chuas Truppen die ausgehobene Grube. Sobald sie sich verschanzt haben, erfolgt aus der Luft ein erster Angriff der Si’lura. Sie fliegen so tief wie möglich in die Grube hinab, landen und verwandeln sich in Vierbeiner, um diese Linie zu halten. Dann stürmen die Og’er nach, um diese Stellungen zu schützen und die Front nach vorn zu schieben.«
»Anschließend schwingen sich die Si’lura wieder in die Lüfte«, fuhr der Stammesvater fort, »und setzen das Ganze eine Ebene tiefer fort.«
Er’ril nickte. »Die beiden Heere überholen sich immer wieder gegenseitig und dringen so Stufe für Stufe in die Grube vor.«
Elena betrachtete schweigend das Oval, das mit Kohle auf die Karte schraffiert war, und sah sich auch den Rest des Geländes an. Dies war ihre Heimat. Trotz der schlichten Zeichnung erkannte sie jeden Hügel, jedes Tal, jeden Bach und jeden Teich. Die Landschaft war ihr ins Herz gebrannt.
»Was hältst du
Weitere Kostenlose Bücher