Alaska
»Evening Star« war eines der freundschaftlichsten und harmonischsten Zusammentreffen in der langen Geschichte der Beziehungen zwischen Weißen und Eskimos. Die Matrosen aus Boston schmückten das Schiff mit allen möglichen Gegenständen, die sie auftreiben konnten oder selbst herstellten: hier und da eine feine Schnitzerei aus Muschelstein, eine ausgestopfte Puppe aus Seehundfell, eine vom Schiffsschreiner mit Meißel und Hammer geschaffene Eisskulptur, die einen Polarbären, auf seinen Hinterbeinen stehend, darstellen sollte. Als die Eskimos diese Idee, das Schiff auszuschmücken, aufgriffen, stellte sich heraus, dass sie viel phantasievoller waren als die Matrosen, sie schleppten Elfenbeinschnitzereien übers Eis heran, aus einem einzigen Walrossstoßzahn gefertigte Gegenstände und die schönsten mit Fischbein gearbeiteten Webwaren. Kapitän Pym verglich all das mit dem, was die Amerikaner auf die Beine gestellt hatten, und fragte dann seinen Ersten Schiffsoffizier Corey: »Nun, wer ist hier zivilisiert?«, und der Ire antwortete überzeugt: »Alles zusammengenommen, was die mitgebracht haben, hätte in Boston nichts zu bedeuten.«
Die Messe, die Kapitän Pym las, war ein sehr feierlicher Akt. Der Verlauf war auf den letzten Seiten seiner Bibel notiert, und eine Passage aus den Sprüchen Salomons, die er zufällig aufgeschlagen hatte, verlieh dem Ganzen eine besondere Weihe:
»›Drei sind mir zu wundersam, und vier verstehe ich nicht: des Adlers Weg am Himmel; der Schlange Weg auf dem Felsen; des Schiffes Weg mitten im Meer und des Mannes Weg beim Weibe.‹
Während unserer Reise haben wir Adler am Himmel gesehen und Schlangen an Land. Wie unser Schiff dem Eis auf dem Meer entkam, ist wahrlich ein Geheimnis, und wer von uns vermag schon die Leidenschaft begreifen, die unseren Mann John Atkins bewegt, die schöne Maid Kiinak zur Frau zu begehren.«
Die Zeremonie hinterließ einen tiefen Eindruck bei den Eskimos, denn auch wenn sie nichts von der religiösen Bedeutung erfassten, konnten sie doch sehen, mit welchem Ernst Pym bei der Sache war und dass es sich hierbei wirklich um eine Vermählung handelte. Zum Schluss stimmten die älteren Frauen, die Kiinak begleitet hatten, die für solche Anlässe bestimmten rituellen Gesänge an, und für wenige kostbare Augenblicke trafen dort unten im dunklen Bauch der »Evening Star« zwei Kulturen aufeinander - in einer Harmonie, die sich in den nachfolgenden Jahrzehnten nur selten wiederherstellte und nie übertroffen wurde.
Von allen, die an dieser Zeremonie teilgenommen hatten und auch bei dem anschließenden bescheidenen Fest zugegen waren, nahm jedoch nur die schwangere Kiinak eine Sache wahr, die noch eine große Bedeutung erhalten sollte. Als sie die Frauen während des Festmahls beim Essen beobachtete, fiel ihr ihre Schwägerin auf, und sie flüsterte ihrem angetrauten Mann zu: »Sieh mal, Nikaluk! Sie ist in deinen Kapitän verliebt.«
Der lange, dunkle Winter ging zu Ende, und als die Sonne vorsichtig an den Himmel zurückkehrte, nur wenige Minuten am Tag über den Horizont lugte, die Kälte spürte und sich wieder davonmachte, nicht mehr als ein Silberstreifen zunächst, da wusste Nikaluk, dass sie machtlos war, die wachsende Zuneigung weiter zu verbergen, die sie für den Fremden empfand, der so anders war als ihr Mann Sopilak, der angesehene Jäger. Sie hielt treu zu ihrem Gatten und brachte seinem Geschick als Anführer des Dorfes und als Jäger, der sie mit Nahrung versorgte, Achtung entgegen, aber auch in Kapitän Pym erkannte sie einen Mann von Gefühl und Verantwortung, der mit den Geistern, die Erde und Meer beherrschten, im Einklang stand. Ihr war aufgefallen, dass seine Männer ihn respektierten und dass er es war, der Entscheidungen traf. Stärker noch als ihre Bewunderung für seine Persönlichkeit war ihr Verlangen nach seiner Gegenwart, als sollte er diesem einsamen Dorf am Rande des gefrorenen Ozeans eine Botschaft von einer anderen Welt bringen, einer Welt, von der sie sich noch kein Bild zu machen verstand, von der sie aber zu ahnen glaubte, dass Größe und Güte zu ihrer Erscheinung gehörten. Zwei Männer aus dieser Welt hatte sie kennengelernt, Atkins, der die Schwester ihres Gatten liebte, und Kapitän Pym, der das Schiff befehligte, und beide waren auf ihre Art ebenso feine Menschen wie ihr Mann.
Natürlich nahm sie noch eine andere Vorstellung gefangen, die Möglichkeit, dass sie mit ihm ein Lager teilen würde, wie Atkins es
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