Alaska
führte ihn nach Osten über das unfruchtbare Land hinaus, und dort sah er grüne Felder.«
»Warum ziehen wir nicht nach Süden?« fragte Tevuk, und die alte Frau wies ihre Schwiegertochter zurecht: »Der Süden hat uns nie gewollt, dort ist nicht unser Platz. Ich will nicht mehr in den Süden.«
In jenen quälenden Tagen des Frühjahrs, als der Winter einfach nicht aufhören wollte und die Menschen am westlichen Ende der Landbrücke seine Folter weiter ertragen mussten , begann sich Varnak, der ein geschickter Jäger war und mit ansehen musste , wie seine Familie langsam verhungerte, nach dem Land im Osten zu erkunden, und er traf dabei auf einen uralten Mann, der dies zu erzählen wusste : »Eines Morgens, ich war noch jung und hatte gerade nichts Besseres zu tun, machte ich mich auf eine Wanderung Richtung Osten, und als die Nacht hereinbrach und die Sonne noch hoch am Himmel stand, hatte ich kein Verlangen, nach Hause umzukehren, also ging ich immer weiter, zwei Tage lang, und am dritten Tag entdeckte ich etwas, das mich erregte.«
»Was?« fragte Varnak, und der alte Mann, mit leuchtenden Augen, als hätte es sich gestern erst zugetragen, antwortete: »Den Körper eines toten Mammuts.« Er ließ Varnak genügend Zeit, die Bedeutung dieser Eröffnung zu begreifen, aber als dieser nichts erwiderte, erklärte er: »Wenn es für das Mammut einen Grund gegeben hat, dieses öde Land zu durchqueren, dann gibt es auch für den Menschen einen Grund«, worauf Varnak antwortete: »Ja, aber du hast doch gesagt, das Mammut sei dabei umgekommen«, und der alte Mann lachte: »Stimmt, aber es muss einen Grund gehabt haben, es zu versuchen. Und dein Grund ist sicher genauso gut. Wenn du nämlich hierbleibst, wirst du verhungern.«
»Wenn ich gehe, wirst du dann mit mir kommen?« Aber der Mann antwortete: »Ich bin zu alt. Aber du ...« Und noch am selben Tag teilte Varnak den vier Mitgliedern seiner Familie mit: »Wenn es Sommer wird, ziehen wir dahin, wo die Sonne aufgeht.«
Als bekannt wurde, dass Varnak versuchen wollte, nach Osten zu ziehen und dort nach Nahrung zu suchen, gab es erregte Diskussionen in den Hütten, und mehrere Männer kamen zu dem Schluss , dass es klüger wäre, ihm zu folgen. Als der Frühling nahte, erwägten etwa vier bis fünf Familien ernsthaft die Möglichkeit fortzuziehen, schließlich waren es drei, die Varnak fest versprachen: »Wir kommen mit.«
Im März, an dem Tag, an dem überall in der Welt Tag und Nacht gleich lang waren, machte er sich mit Tevuk, seinen beiden Söhnen und der Altehrwürdigen auf, begleitet von drei weiteren Jägern, ihren Frauen und deren acht Kindern.
Die neunzehn Menschen, die sich da am östlichen Rand ihres Dorfes versammelten, wirkten furchteinflößend, denn die Männer trugen schwere, üppige Pelzkleidung, so dass sie wie ungeschlachtete Tiere aussahen. In den Händen hielten sie lange Speere, als wollten sie in den Krieg ziehen. Ihr zerwühltes Haar hing ihnen ins Gesicht, die Farbe ihrer Haut war von einem dunklen Gelb, die ihrer Augen von einem funkelnden Schwarz, und wenn ihre Blicke, wie es oft geschah, mal hierhin, mal dorthin sprangen, dann erinnerten sie an beutesuchende Adler.
Die fünf Frauen waren unterschiedlich gekleidet, zum Teil in bemalten Fellen, am Saum mit Muscheln geschmückt, aber in der Bemalung ihrer Gesichter glichen sie sich erstaunlich. Alle waren mit vertikal verlaufenden blauen Streifen tätowiert, bei einigen bedeckten sie das Kinn, bei anderen verliefen sie neben den für Ringe aus weißem Elfenbein durchstochenen Ohren über die ganze Länge des Gesichtes. Wenn die Frauen sich bewegten, auch die Alte, dann immer mit einer zupackenden Entschlossenheit, und als die vier Schlitten, auf denen die Familien ihre Habseligkeiten geladen hatten, zurechtgerückt wurden, da waren es diese Frauen, die nach den Zügeln griffen und sich daranmachten, die Schlitten zu ziehen.
Die zehn Kinder sahen aus wie ein bunter Blumenstrauß, die Kleider, die sie trugen, unterschieden sich alle in Form und Farbe. Einige trugen einen kurzen Kasack mit blauen und weißen Streifen, andere lange Umhänge und dazu schwere Stiefel, aber alle zierte ein Haarschmuck, eine Muschel oder ein schimmerndes Stück Elfenbein.
Auf kleinen Schlitten mit Kufen aus Geweihen und Knochen zogen die Wanderer ihre armselige Habe an Gebrauchsgegenständen, die ihr Volk, die Chukchis, in den zehntausend Jahren Leben in der Arktis zusammengetragen hatten, hinter sich her:
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