Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alaska

Titel: Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Albert Michener
Vom Netzwerk:
jenseits des Horizonts Lebenden die Lichter hin und her schoben, die Farben aussuchten und große Pfeile quer über das Firmament jagten. Es herrschte Stille, und die Kinder, die man ebenfalls herausgerufen hatte, das Wunder zu sehen, würden sich ihr ganzes Leben daran erinnern.
    Ein Mann wie Varnak sah einen solchen himmlischen Fackelzug vielleicht zwanzigmal in seinem Leben. Wenn er Glück hatte, erlegte er die gleiche Anzahl Mammuts, nicht mehr, oder half zumindest dabei, sie zur Strecke zu bringen. Wenn es auf die Dreißig zuging, was bei Varnak der Fall war, musste man damit rechnen, dass seine Kräfte langsam verfallen und schließlich vollständig versagen würden. Es kam also nicht überraschend für ihn, als Tevuk ihm eines Morgens im Herbst mitteilte: »Deine Mutter kann nicht mehr aufstehen.«
    Er eilte sofort zu ihr, sie lag auf dem Boden unter den Birkenbäumen, und er sah, dass sie sterben würde. Er kniete nieder, um ihr, so gut er konnte, Trost zuzusprechen, aber den hatte sie nicht nötig. In ihren letzten Augenblicken verspürte sie nur noch den Wunsch, den Himmel zu sehen, den sie so geliebt hatte, und sich der Verantwortung gegenüber ihrem Volk, das sie so lange geführt und beschützt hatte, zu entledigen. »Wenn der Winter kommt«, flüsterte sie ihrem Sohn zu, »erinnere die Kinder daran, dass sie viel schlafen sollen.«
    Varnak bestattete sie in dem Birkenhain, zehn Tage später hatte der erste Schnee des Jahres eine Decke über das Grab gebreitet. Ein scharfer Wind trieb ihn über die Steppe vor sich her, und als er vor den Erdhütten aufwirbelte, überlegte Varnak, ob sie nicht an ihren alten Ort zurückkehren und dort überwintern sollten, und er ging sogar so weit, sich mit den anderen Jägern zu beraten, aber ihr Spruch war einmütig: »Besser, wir bleiben, wo wir sind«, und mit diesem Entschluss verkrochen sich die achtzehn neuen Bewohner Alaskas, genügend Trockenfleisch in ihren Vorräten, die sie durch den Winter bringen würden, bis das Schlimmste überstanden war, in ihre Hütten, um sich vor den anrückenden Stürmen zu schützen.
     
    Varnak und die anderen Bewohner der Siedlung waren nicht die ersten, die aus Asien nach Alaska kamen. Jahrtausende vorher müssen schon andere an verschiedenen Stellen aufgetaucht und allmählich und ohne Absicht, auf ihrer ständigen Suche nach Nahrung, nach Osten weitergerückt sein. Manche unternahmen die beschwerliche Reise aus Neugier, es gefiel ihnen, was sie vorfanden, und sie blieben. Manche hatten sich mit ihren Eltern oder Nachbarn zerstritten und zogen ohne rechtes Ziel fort. Andere wiederum schlossen sich aus Bequemlichkeit einer Gruppe an und fanden dann nicht mehr die Energie, um zurückzukehren. Manche waren auf der Jagd so schnell und verfolgten ein Tier so weit, dass sie nach der Tötung einfach an der Stelle blieben, an der sie das Tier erlegt hatten, und manche verlockte das reizende Wesen eines Mädchens von der anderen Seite des Flusses, deren Eltern sich auf die Reise gemacht hatten.
    Von den einhundert Chukchis, die zu Varnaks Zeiten aus Sibirien nach Alaska auswanderten, kehrte ungefähr ein Drittel wieder zurück, nachdem sie festgestellt hatten, dass es sich in Asien im Allgemeinen doch angenehmer leben ließ als in Alaska. Die übrigen zwei Drittel, die blieben, lebten, wie ihre Nachfahren auch, gefangen in einer verzauberten Eisfestung. Sie wurden Einwohner Alaskas, kannten bald nichts anderes mehr als dieses herrliche Land, sie vergaßen Asien, und Nordamerika blieb ihnen völlig unbekannt.
    Wie soll man sie bezeichnen? Ihre Vorfahren, die sich zuerst Richtung Norden wagten, wurden verächtlich »die aus dem Süden Geflohenen« genannt, als hätten die Ansässigen geahnt, dass die Neuankömmlinge der Vertreibung aus jenen angenehmeren Klimazonen hätten entgehen können, wenn sie stärker gewesen wären. Während der Zeit, als sie keinen geeigneten Platz für ihr Lager fanden, nannte man sie auch »die Wanderer«, und als sie schließlich an der Grenze zu Asien einen sicheren Ort fanden, wo sie sich ansiedeln konnten, adoptierten sie einfach seinen Namen und nannten sich fortan Chukchis. Die angemessenere Bezeichnung wäre Sibirier gewesen, aber nun, da sie sich sozusagen unwissend Alaska verschrieben hatten, bekamen sie den allgemeinen Oberbegriff Indianer zugewiesen, später dann die speziellere Bezeichnung Athapasken.
    Als solche verbreitet en sie sich über den Mittelteil Alaskas und bis weit nach Kanada hinein.

Weitere Kostenlose Bücher