Alaska
alten Kajaks anzufertigen, und als diese sich als seetauglich erwiesen, brachte er seinen Jägern bei, wie man damit zu mehreren in einer Gruppe auf Jagd ging. Ruhig, ohne ein Geräusch zu machen, durchstreiften sie die See, bis sie auf eine Otterfamilie trafen. An manchen Tagen, wenn sie Glück hatten, brachten sie bis zu sechs Tiere heim, und bald war es soweit, dass die Inselbewohner das Fleisch fortwarfen und nur das Fell behielten. Die Jagd auf Otter wurde zu einem schrecklichen Massaker.
Azazruk sah sich zum Eingreifen genötigt, »Es ist nicht richtig, dass wir die Otter töten«, sagte er, aber Shugnak, ein guter Mensch und außerhalb der Jagd von sanftmütigem Charakter, erwiderte: »Wir brauchen die Felle.« Jeder wusste , dass sie die Felle nicht wirklich brauchten, denn es gab Seehunde im Überfluss , zudem war das Fleisch des Otters zäh, aber diejenigen, die schon ganze Kleidungsstücke aus Otterfellen hatten, stolzierten damit herum, während diejenigen, die noch keine besaßen, immer wieder auf Shugnak einredeten, ihnen doch Felle zu besorgen.
Die Sicht des Jägers war einfältig: »Die Otter schwimmen da draußen herum und sind für niemanden von Nutzen, liegen auf dem Rücken und knacken Muscheln.« Azazruk dagegen hatte ein tieferes Verständnis von der Natur: »Die Tiere auf dem Land und im Wasser sind durch den Willen der großen Geister auf der Erde, damit der Mensch leben kann.« Und er war so besessen von dieser Vorstellung, dass er eines Morgens die Höhle der Mumifizierten erklomm und sich lange Zeit neben sie setzte, als wollte er sie um ihren Rat fragen.
»Ist es töricht von mir, zu glauben, dass die Seeotter meine Brüder sind?« fragte er, doch als Antwort vernahm er nur den Nachhall seiner Stimme.
»Tut Shugnak vielleicht recht daran, sie zu jagen?« Wieder folgte Stille.
»Nehmen wir einmal an, dass wir beide recht haben, Azazruk, wenn er Tiere liebt, und Shugnak, wenn er sie tötet.« Er unterbrach einen Moment und stellte dann eine Frage, die auch alle nachfolgenden Philosophen beschäftigen sollte: »Wie kann es sein, dass zwei so verschiedene Dinge beide richtig sind?«
Die Antwort auf diese Frage fand er schließlich, wie alle Frauen und Männer in der Geschichte der Menschheit, die ein Orakel befragten, in sich selbst. Seine eigene Stimme auf die Mumie übertragend, hörte er, wie sie ihm warmherzig versicherte: »Azazruk muss lieben, und Shugnak muss töten, und ihr handelt beide recht.«
Mehr sagte sie nicht, doch für Azazruk, den Inselbewohner, formte sich hier in der Höhle ein Satz, der ihm fortan im Kopf schwirrte: Wir leben von den Tieren, aber wir leben auch mit ihnen. Und als er seine Deutung von der Absicht der Geister den anderen vermittelte, hörten zwar viele zu, aber die meisten warteten immer noch sehnsüchtig auf ihren Otterpelz, und diese waren es, die eine geflüsterte Verschwörung gegen den Schamanen anzettelten und behaupteten, er wolle die Tötung der Otter deswegen verhindern, weil sie angeblich wie menschliche Wesen aussehen, wo doch jedes Kind wisse, dass es nur große Fische seien, mit einem wertvollen Fell überzogen.
Der Riss durch die Inselgemeinschaft ging tief, einige standen hinter ihrem Schamanen, andere unterstützten die Jäger. In Tausenden dieser ersten Siedlungen in Asien und Alaska vollzog sich eine ähnliche Spaltung, die Träumer gegenüber den Pragmatikern, die Schamanen, die für das geistige Wohl ihres Volkes verantwortlich waren, gegenüber den Jägern, die dafür zu sorgen hatten, dass es genügend zu essen gab. Dieser unvermeidliche Kampf setzte sich auch in den nachfolgenden Jahrtausenden fort, denn es blieb nicht aus, dass auch Menschen mit bester Absicht darüber unterschiedlicher Ansichten sein konnten.
Auf der Insel Lapak eskalierte der Konflikt, als sich Shugnak eines Morgens daranmachte, mit seinem Einmannkajak hinaus auf die See zu paddeln, um Otter zu jagen, und der Schamane ihn am Strand anhielt: »Wir wollen nicht, dass noch mehr Otter getötet werden. La ss die Tiere leben.« Azazruk war ein Asket mit einer geheimnisvollen Aura, die ihn von den anderen Männern absetzte, er war ein stiller Mensch, aber wenn er sprach, so selten es auch war, musste man ihm zuhören.
Shugnak dagegen war völlig andersartig, stämmig, breitschultrig und unbeholfen, sein wilder Gesichtsausdruck kennzeichnete ihn als einen tüchtigen Jäger. Sein Gesicht war von eher rötlicher Farbe und nicht von dem Dunkelbraun des typischen
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