Alba und Albion
mußte. Außerdem verstand er es prächtig, seine Männer zu begeistern und zu führen. Und sie hielten rückhaltlos zu ihm.“ Er lachte leise. „Von ihm habe ich das Kämpfen gelernt, wie man mit dem Breitschwert umgeht und sich gleichzeitig mit Schild oder Dolch schützt.“
„Wie war er als Mensch? Als Vater?“
„Hmmm.“ Nachdenklich strich er sich über die Nasenspitze. „Wenn ich ehrlich bin, sehr, sehr streng. Wenn ich etwas ausgefressen hatte, gab’s Prügel.“
Erschrocken setzte ich mich auf. „Prügel? Das ist ja schrecklich!“
„Wenn man weiß, warum man es bekommt, dann ist es nicht so schlimm.“
Ich wollte etwas entgegnen, doch er hielt mich davon ab, indem er mich auf den Mund küßte. „Und ich hab es ja auch überlebt. Jedenfalls hat er mir sehr viel für mein Leben mitgegeben und er hatte natürlich auch seine sanften Seiten.“
„Ach ja?“ Nach dem, was ich bisher gehört hatte, konnte ich mir das nicht vorstellen und blickte ihn skeptisch an.
„Aye. Wie gesagt, er liebte Sagen und Märchen. So wie du. Abends wurde er von meinem Brüdern regelrecht bedrängt, etwas zu erzählen. Von ihm kenne ich auch diese ganzen Geschichten.“
Ich bemerkte, wie er schluckte. Sanft nahm ich seine Hand in die Meine und küßte jeden seiner Finger. „Du vermißt ihn sehr?“
Er nickte und seufzte schwer. „Aber nicht nur ihn. Ich kann es kaum noch erwarten, sie alle wiederzusehen.“
Dann schien ihm etwas einzufallen. „Und wie ist es bei dir? Hast du kein Heimweh?
Was sollte ich nun antworten? Auf der einen Seite wollte ich nur bei ihm sein, andererseits vermißte ich meine gewohnte Umgebung, die Wärme, mein Federbett. Und natürlich auch die dort lebenden geliebten Menschen. Sogar meinen Vater. Nachdenklich blickte ich in die schwarze Nacht.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht.“ Ich blickte zu ihm hoch und sah in seine Augen. „Aber ich bereue keine Sekunde, die ich in deinen Armen bin.“
Trotz der heulenden Wölfe, die uns stets begleiteten, schlummerte ich ein, eingehüllt in die Decke und mit seinen streichelnden Händen auf meinem Rücken.
Indessen fiel die Nacht in einen Dämmerzustand, der weder Nacht noch Tag bedeutete. Bald würde es wieder hell und wir auf dem Weg nach Schottland sein - zu ihm nach Hause!
16
Verrat
„Ist das Liverpool?“
Robbie stoppte das Pferd und setzte sich im den Sattel kerzengerade auf, um alles ganz genau sehen zu können.
„Aye. Das ist Liverpool. Und ganz hinten am Horizont kann man das Meer sehen.“ Er zeigte mit seiner Hand auf diese Stelle, doch außer Dunst erkannte ich gar nichts.
„Wenn wir am Hafen sind, gehen wir in einer Taverne etwas essen und nehmen ein Zimmer.“ Er zwinkerte mir verschmitzt zu. „Dann können wir uns wieder richtig ausstrecken.“
Ich errötete, denn ich wußte genau, was er damit meinte. Während der Zeit im Freien beschränkten sich unsere Liebesbezeugungen fast nur auf Küsse und leichte Berührungen. An ein kuscheliges, intimeres
Beisammensein in dieser Kälte war einfach nicht zu denken. Außerdem hätte ich etwas dagegen gehabt, wenn ich an unsere tierischen Begleiter dachte. So freute ich mich aber genauso auf ein warmes, weiches Bett und vielleicht auch heißes Wasser zum Waschen.
„Den Rest werden wir laufen.“
Er hielt unser Pferd an, saß ab und hob mich ohne große Kraftanstrengung aus dem Sattel. Meine Glieder fühlten sich vom Reiten und von der Kälte gleichermaßen steif an, sodaß ich fast nicht stehen konnte und hielt mich an unserer genügsamen Stute fest.
„Wie machst du das bloß? Nachts schläfst du nicht und nach stundenlangem Reiten springst du aus dem Sattel, als wenn das ein Federkissen wäre!“ Ich rieb mir erst den Hals und dann mein Hinterteil.
Er lachte und schnüffelte in der Luft herum. „Das muß an der Seeluft liegen! Riechst du es? Das Meer?“
Ich tat es ihm gleich, konnte jedoch nichts riechen. „Ja, vielleicht.“
Gemeinsam gingen wir Seite an Seite neben unserem Pferd und eine freudige Erwartung machte sich in mir breit. Man konnte die unmittelbare Nähe einer Stadt spüren. Es kamen uns in immer regelmäßigeren Abständen Kutschen und Fuhrwerke, Bauern mit ihrem Vieh, Fußgänger, Bettler und allerlei anderes Gesindel entgegen und der Strom wurde stetig mehr, in beide Richtungen. Auch Soldaten kamen uns entgegen, Engländer in eleganten Uniformen, doch wir beachteten sie einfach nicht.
Bald konnte ich auch den unverwechselbaren Duft einer Stadt
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