Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
schnellsten einen Streit vom Zaun bricht.
»Auszeit«, sagte Alfred streng, »es ist Mittag, und wir nutzen das Essen, um etwas Abstand vom Tagesgeschäft zu gewinnen. Wenn du dich streiten willst, stehe ich dir in einer halben Stunde wieder zur Verfügung, o.k.?«
Ein leises Schnauben auf der Gegenseite deutete er als Einverständniserklärung.
Alfred versuchte den Krautsalat und stellte befriedigt fest, dass Renan Müller ihn nicht mehr so leicht auf die Palme bringen konnte wie noch vor einem Jahr. Am Anfang schien sich ihre Zusammenarbeit zu einem latenten Kleinkrieg zu entwickeln. Der Alters- und Temperamentsunterschied hatte schnell tiefe Schützengräben aufgerissen, die unüberwindbar schienen. Alfred hatte eine gewisse Zeit gebraucht, um zu erkennen, dass er Renan nicht anleiten oder heranziehen konnte, wie es Herbst mit ihm gemacht hatte. Außerdem hatte es ihm bald gedämmert, dass diese Teambildung ein Schachzug seines Intimfeindes, Kriminaldirektor Göttler, war. Nach einem halben Jahr zäher Waffenstillstandsverhandlungen hatten sie ihre gegenseitigen Stärken und Schwächen identifiziert und begonnen, sich damit zu ergänzen. Eigentlich war es ja auch gar nicht so schwer. Wenn man Renans offene und geradlinige Art eine Zeit lang auf sich wirken ließ, konnte man feststellen, dass ihr eine Eigenschaft fehlte, die sonst viele andere Personen im Polizeidienst charakterisierte: Sie war nie nachtragend, auch wenn sie manchmal cholerisch und voreilig reagierte. Eine gute Basis, um Konflikte offen anzusprechen und zu lösen. Heute hatte Alfred keine Lust sich zu streiten.
»Lass dich nicht hängen«, sagte er aufmunternd, »diese Spur ist ja noch nicht konsequent zu Ende verfolgt.«
»Wie meinst du das?«, Renan sah ihn fragend an.
»Nun ja. Wenn diese, ähm, Leiharbeiter sich nicht erinnern können oder wollen, gibt’s ja immer noch die Arbeitgeber, bei denen sie ab und zu Anstellung finden. Vielleicht sind die ja gesprächiger.«
»Stimmt«, ihre Miene hellte sich auf.
»Bevor wir alle Aussiedlerwohnheime abgrasen, sollten wir erst mal diese Spur verfolgen. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, welche Firmen sich am Güterbahnhof ab und zu einen Tagelöhner holen.«
»Ich wüsste da schon jemanden, den ich fragen kann«, sagte sie.
»Wissen Sie, Frau Müller, als Unternehmer sind Sie heute in Deutschland doch am Hund«, dozierte Meister Renner, »diese Regierung presst uns Mittelständler aus wie reife Zitronen und wir können diese Belastungen nicht mehr tragen. Bis ich an einem Monteur heute einen Euro verdiene, hat der schon zwei Überstunden gemacht, und wenn ich ihm die regulär ausbezahlen würde, hätte der ja auch nichts mehr davon …«
»Herr Renner«, unterbrach ihn Renan, »meine Eltern haben auch einen Handwerksbetrieb und ich weiß, wie schwer das ist, aber vielleicht könnten Sie sich kurz dieses Foto hier ansehen?«
Herr Balenkow hatte ihnen einige Firmen genannt und Renan und Alfred hatten sich aufgeteilt, um die entsprechenden Chefs schneller befragen zu können. Neben drei Speditionen waren noch verschiedene Handwerksbetriebe dabei. Renan hatte den Schlossermeister Renner in seiner Werkstatt angetroffen, wo er gerade über einer riesigen Konstruktionszeichnung brütete. Sein Büro war ein kleiner Nebenraum ohne Fenster. Die Papierstapel auf seinem Schreibtisch waren gut einen drei viertel Meter hoch und das Faxgerät spuckte unentwegt kleine Röllchen aus, die auf dem Boden schon einen ansehnlichen Haufen gebildet hatten. Das Handy auf einem der Papierstapel klingelte fast pausenlos. Die Firma Renner »Metallbau und Schlosserei« arbeitete jedoch nicht mehr mit Tagelöhnern vom Güterbahnhof.
»Nein, das ist mir zu unsicher«, erklärte der Firmeninhaber, »diese Russen mögen ja vielleicht gute Arbeiter sein, aber wenn von denen einer auf der Baustelle irgendeinen Schaden anrichtet oder sich vielleicht noch schwer verletzt, dann gehe ich in den Knast. Mein Betrieb geht den Bach runter und meine Leute stehen auf der Straße. Das kann ich nicht verantworten, Frau Müller …« In diesem Moment meldete sich wieder sein Handy.
»Ja«, bellte er, »… wie, das Glas ist zu groß? Ja dann schneidet es halt ab um Gottes willen! … Wir haben einen Glasschneider in jedem Werkzeugkoffer … Doch, doch, das ist ja kein Isolierglas, oder? … Na also! … Ja, und notfalls mit der Flachzange abzwicken! Aber immer erst vorritzen! … Ja, ich komme heute Nachmittag noch mal
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