Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
haben will, den werfe ich achtkantig wieder raus, kaum dass er drinnen ist.«
»Herr Steiner, ich habe nur eine Frage …«
»Wissen Sie, ich habe schon genug am Hals, mit der Gewerbeaufsicht, der Innung, der Kammer, der Berufsgenossenschaft und der Berufsschule, allmächtig, wenn ich daran denke. Da heißt es immer, wir sollen ausbilden, und wenn man dann einmal …«, er zog einige Rollen grauer Kabel aus einem Regal und legte sie auf einen Transportwagen, »ist das der richtige Querschnitt?«, murmelte er.
»Herr Steiner«, Renan unternahm einen dritten Anlauf, »ich möchte ja nur von Ihnen wissen, ob Sie ab und zu Tagelöhner vom Rangierbahnhof beschäftigen.«
»Wie schon gesagt«, Steiner stellte zwei rote Kunststoffkoffer mit der Aufschrift HILTI auf den Wagen, »bevor ich so einen Faulpelz nehme, der vielleicht noch in der Gewerkschaft ist …«
»Gut«, Renan schöpfte Hoffnung, »haben Sie vielleicht diesen Mann schon einmal gesehen?«, sie hielt dem Elektriker das Foto unter die Nase, doch der schien sie gar nicht gehört zu haben und schob seinen Karren weiter.
»Könnten Sie jetzt bitte einen Blick auf dieses Foto werfen?«, Renan stellte sich dem Unternehmer in den Weg, hielt mit der linken Hand das Bild hoch und stupste ihn mit der rechten kräftig auf die Schulter.
»Wer soll das sein?«, Steiner hatte tatsächlich kurz innegehalten.
»Hat dieser Mann einmal für Sie gearbeitet oder haben Sie ihn einmal gesehen, am Güterbahnhof vielleicht?«, fragte sie streng.
»Nein«, Steiner zog ein Mobiltelefon aus der Tasche seines blauen Kittels.
»Ich glaube, wir haben eine Spur«, stellte Alfred fest, als er am frühen Abend wieder mit Renan zusammentraf. Sie waren vom Präsidium aus gleich wieder aufgebrochen, um ein paar Schritte zu laufen. Renan hatte von Alfred gelernt, dass man sich als Kommissar möglichst wenig im Büro aufhalten sollte, weil das stets nach besonderem Einsatz aussah und man sich so außerdem spontanen Besuchen von Vorgesetzen entziehen konnte. Schon viele Kollegen hatten bereut, zur falschen Zeit in ihren Diensträumen gewesen zu sein, etwa wenn unerwartet Wochenenddienste anfielen oder dringend Hilfstruppen gebraucht wurden. Alfred hatte Renan von Anfang an dazu animiert, ihre gemeinsame Arbeitszeit außerhalb des Präsidiums zu verbringen, auch in Zeiten, in denen zwischen ihnen ein schlechteres kollegiales Verhältnis bestand. Nahezu täglich hatte er Renan angeboten, etwas spazieren zu gehen oder einen Kaffee im Balazzo Brozzi zu trinken, einem Kaffeehaus, gut zehn Minuten vom Präsidium entfernt. Das alternative Tagescafé hatte im Lauf der Jahre das Café Kröll in seiner Funktion als Außenstelle der Mordkommission abgelöst. Renan war trotz der innig gepflegten Feindschaft zu Alfred sehr oft mitgegangen, weil es nicht ihre Art war, unangenehmen Situationen auszuweichen, und sie sich genauso gut im Park beharken konnten oder in einer Kneipe oder im Wiesengrund oder sonst wo. Es fiel ihr nicht schwer, Alfreds Freiheitsdrang nachzuvollziehen, der ihm bei einigen Kollegen schon den Spitznamen »Kaffeehausdetektiv« eingebracht hatte. Ein Tag im Büro war auch für sie fast wie ein Tag im Gefängnis und sie waren schließlich Polizeibeamte und keine Straftäter.
Es war ein heißer Sommerabend, die Sonne stand noch am Himmel und im Wiesengrund herrschte rege Betriebsamkeit. Jogger bekämpften ihre Schweinehunde, Spaziergänger behinderten mit den ihren die freie Fahrt diverser Fahrradkuriere und Inlineskater, türkische Großfamilien heizten Grills an und kleine Kinder planschten im seichten Wasser der Pegnitz. Alfred berichtete erleichtert, dass einer von Kleins Monteuren sich an den Mann auf dem Foto zu erinnern glaubte. Allerdings war der Tote kein Aushilfsarbeiter gewesen, sondern der Mieter einer Genossenschaftswohnung. Kleins Firma hatte vor etwa einem Jahr den Auftrag erhalten, in mehreren Wohnblocks der Gesellschaft die alten Fenster gegen neue Wärmeschutzmodelle auszuwechseln. Dabei handelte es sich um Routinearbeiten, die pro Wohnung kaum mehr als zwei Tage in Anspruch nahmen. Die alten Fenster wurden herausgerissen und neue passgenau montiert. Es war normalerweise nicht notwendig, dass die Bewohner deswegen ihre Wohnungen verließen. Der Tote war dem Monteur aus zwei Gründen im Gedächtnis geblieben: zum einen »… weil die Wohnung aussah wie«, Alfred blätterte in seinem Notizblock, »ein stinkender Saustall. Muss wohl ziemlich verwahrlost gewesen
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