Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
tatsächlich geschafft, mit jemandem vom Central Saint Martins College zu sprechen.«
»Diese Modedesign-Schule?«
»Ja. Die haben gesagt, dass es natürlich in erster Linie auf deine Mappe und bisherige Entwürfe ankommt und natürlich auf die Aufnahmeprüfung. Im Zweifelsfall wäre eine deutsche Schneiderlehre aber schon von Vorteil«, sie wusste nicht so recht, ob sie begeistert klingen sollte.
»Na ja«, Renan tauchte den rechten Fuß wieder ins Wasser, »dann kannst du dich ja gleich nach dem Abi bewerben und wenn’s nicht sofort klappt, machst du eben zuerst die Ausbildung.«
»Das dauert dann wieder drei Jahre«, maulte Mirjam.
»Drei Jahre, mein Gott. Die sind schneller rum, als du glaubst. Dann kannst du immer noch in die große weite Welt hinausziehen.«
»Ich bin mir nicht so richtig sicher, ob ich das wirklich will«, sie blickte ihre Schwester ängstlich an, deren Ausbruch auf den Fuß folgte.
»Ja, was denn nun?«
»Irgendwie gefällt es mir schon ziemlich gut hier«, beichtete Mirjam, »die Stadt ist schön, das Land drum herum, wir haben das beste Essen nördlich der Alpen, meine Freunde sind hier …«
»Jetzt hör mal zu«, befahl Renan, »vor zehn Jahren habe ich diese Chancen nicht gehabt, weil unseren Eltern das nötige Kleingeld gefehlt hat. Ich hatte die Wahl, entweder Raumausstatterin zu lernen und in das Geschäft einzusteigen oder Beamtin zu werden. So, und da bin ich jetzt und komme im Leben nicht mehr nach London. Lass dir das doch nicht entgehen, Mensch!«
»Aber meine Freunde …«
»Erstens sind die schneller weg, als du glaubst, und zweitens kannst du dir woanders neue suchen!«
»Wie sich das anhört«, Mirjam wirkte traurig. Renan zog sie an sich und tätschelte ihren Oberarm. »Eines Tages wirst du wissen, was du willst«, tröstete sie, »so was kann man nicht erzwingen, das kommt von selber.«
»Es ist auch diese scheiß Zukunftsangst«, schimpfte Mirjam leise, »drei Viertel aller Modedesigner sind arbeitslos. Ich habe mir schon überlegt, ob ich nicht doch lieber Innenarchitektur studieren soll. Das hat genauso viel mit Gestaltung zu tun und ich könnte zur Not wirklich mit in das Geschäft einsteigen«, sie löste sich aus der Umarmung, blickte ihrer Schwester in die Augen und zuckte mit den Schultern.
»Scheißzeiten«, sagte Renan und dachte an etliche ähnliche Geschichten aus ihrem Bekanntenkreis. Ihre Schulfreundin Claudia etwa, die immer Pilotin werden wollte und jetzt beim Zoll Importgenehmigungen prüfte, oder Erwins Neffe Andy, der kurz vor Vertragsabschluss als Profi-Fußballer kalte Füße bekommen und stattdessen eine Banklehre begonnen hatte. Einerseits konnte sie, die über keinerlei deutsches Erbgut verfügte, das Sicherheitsbedürfnis dieses Volkes nicht ganz nachvollziehen, andererseits ärgerte sie die Selbstgefälligkeit der Alten, die sich stets damit brüsteten, dieses Land aus dem Nichts wieder aufgebaut zu haben. Es war immer einfach, Risiken einzugehen, wenn man nichts zu verlieren hatte, und einem zerbombten, ausgebrannten Kontinent neue Waren und Dienstleistungen anzubieten, schien ihr kein besonderes Risiko. Ihr Vater hatte schon Recht, wenn er gebetsmühlenartig wiederholte, dass es kein großes Problem gewesen war, ein Geschäft aufzubauen, aber oben bleiben, das war ein Kampf, der täglich neue Kraft kostete. Das musste ihre Generation nun bewerkstelligen.
Mittlerweile war es dunkel geworden. Der Wiesengrund glich jedoch immer noch einer weitläufigen Kirchweih. Sie passierten auf dem Rückweg verschiedene Grills, Roller, Bobby-Cars und Geschicklichkeitsspiele, wobei Mirjam zwei Kindern einen Fußball aus dem Fluss fischte und Renan höchst ungehalten auf eine Frisbee-Scheibe reagierte, die sie an der Schulter traf.
»Und du jagst wieder mysteriösen Verbrechern nach?«, fragte Mirjam schließlich.
»Hm«, Renan schürzte die Lippen, »zwei ähnliche Morde im Abstand von siebzehn Jahren. Immerhin hatten wir innerhalb weniger Tage einen Hauptverdächtigen, aber es wird sehr schwer, ihm was nachzuweisen, wir kennen sein Motiv nicht, außerdem ist er verschwunden …«
»Könnte es derselbe Täter gewesen sein?«, fragte Mirjam.
»Ja, das ist möglich«, nickte Renan »aber es hat wohl auch etwas mit dem KGB zu tun, das ist spätestens seit der Durchsuchung der Wohnung des Mordopfers klar …«
»Der KGB hat wahrscheinlich ziemlich schlimme Sachen getrieben«, mutmaßte Mirjam. »Auf jeden Fall gibt es sicher Tausende von
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