Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
warum sie hier Keller sagen und nicht Biergarten?«, fragte Alfred, als er mit zwei neuen Gläsern zurückkam.
»Nein. Aber ich werde wohl nicht darum herumkommen, von dir aufgeklärt zu werden.«
»Früher gab es noch keine Kühlschränke«, ihre Ironie überhörte er geflissentlich, »da haben die Brauer das Bier den Sommer über in Felsenkellern gelagert. Oben haben sie schattige Bäume gepflanzt und irgendwann ist jemand auf die geniale Idee gekommen, das Bier auch gleich vor Ort auszuschenken. Das war natürlich zu Zeiten, als es noch kein Freiherren-Bräu gab«, er tastete seine Schläfen ab.
»Apropos«, sie setzte ihre Sonnenb rille wieder auf die Nase, »haben die nicht dieses Fass erfunden, das sich selbst kühlt?«
»Das selbst kühlende Bierfass«, Alfred drückte nachdenklich die Kippe aus, »stimmt.«
VIII. DIE WÄCHTER
»Ich muss gehen«, sagte Nikolai.
»Wohin?«, fragte Valentina.
»Das kann ich dir nicht sagen – noch nicht!«
»Ich habe immer damit gerechnet, dass du eines Tages verschwindest«, sagte sie fast ohne Trauer.
»Ich will es nicht«, sagte Nikolai, seinen Rucksack verschließend, »ich hasse es, dir das anzutun!« Er setzte sich auf die Bettkante und vergrub das Gesicht in den Händen, in der Hoffnung, sie würde ihm durch die Haare streicheln oder sonst irgendwie berühren. Valentina jedoch blieb mit verschränkten Armen vor dem Fenster stehen und blickte hinaus.
»Was würde denn passieren, wenn du hier bleibst?«, fragte sie schließlich.
»Dann sitze ich spätestens in drei Tagen im Gefängnis«, antwortete er, ohne das Gesicht zu heben.
»Ich habe immer öfter den Eindruck, du betrachtest unser Leben als Gefängnis«, seufzte sie.
»Nein, verdammt noch mal«, Nikolai wurde lauter, »wenn ich dich nicht in alles einweihe, dann tue ich das nur zu deiner Sicherheit, zu deinem Schutz!«
»Manchmal ist Ungewissheit grausamer als Unsicherheit«, sie drehte sich um und sah ihm in die Augen.
»Vielleicht«, sagte er, »vielleicht. Aber wenn ich die Wahl habe, ob ich für den Rest meines Lebens als Flüchtling durch die Welt gehetzt werde oder du eines Tages erschossen im Straßengraben liegst, dann gehe ich kein Risiko ein. Dein Leben ist mir das Wichtigste, verstehst du?«
»Nein, ich verstehe nichts«, entgegnete sie energisch, »weil du immer nur in Rätseln sprichst. Damit kann ich nichts anfangen, Kolja! Entweder du machst endlich den Mund auf und erzählst mir die ganze Geschichte oder …«
»Oder?«
»Oder es ist wirklich besser, wenn du verschwindest und ich dich nicht wieder sehen muss! Du kannst mir ja eine Karte schreiben, aus Kuba oder Bulgarien oder Brasilien oder wo immer du auch hinwillst!«, sie drehte sich abermals zum Fenster um.
»Ich will mich nicht von dir trennen«, sagte er und spürte, wie sich Tränen in seinen Augen sammelten, »ich habe einige Ideen, wo wir sicher leben könnten. Ich muss nur dorthin fahren, mich ein bisschen umsehen und ein paar offene Fragen klären, dann kann ich dich nachholen.«
»Also, manchmal glaube ich, die haben euch auf der KGB-Schule zu viele schlechte Filme gezeigt«, sie lachte hoffnungslos. »Wie soll das funktionieren? Du züchtest Schafe in Albanien und ich stricke die ganze Zeit Pullover, bis du wieder Hals über Kopf verschwinden musst?«
»Valentina, wir sind Russen. Wir können uns überall anpassen und brauchen so gut wie nichts zum Leben. Oder bist du schon zu lange in diesem verfressenen, verweichlichten Land?«, er stand auf und ging auf sie zu.
»Darum geht es nicht«, sagte sie und ging wieder zwei Schritte auf Distanz, »ich würde mit dir überallhin gehen, das weißt du. Ich wüsste nur gerne, warum ich von heute auf morgen ein Land verlassen soll, wo es keine Erdbeben und Überschwemmungen gibt, keine Korruption, keine Mafia und dafür ordentliche Wohnungen, Arbeit, Sicherheit und Ausbildung für meine Kinder und wo der Sommer fast genauso lange dauert wie der Winter. Wenn du mir eine Erklärung dafür gibst, Nikolai, dann werde ich mit dir auch am Südpol leben können!«
»In Ordnung, pass auf«, er kramte mit zitternden Händen in der vorderen Tasche seines Rucksacks und zog ein etwa postkartengroßes Notizbuch heraus, »ich bin gerade dabei, die ganze Geschichte aufzuschreiben. Von der Zeit an, wo ich in die Armee eingetreten bin, bis heute. Ich kann das nicht erzählen, weil ich kein Maulheld bin. Das Schreiben fällt mir auch nicht gerade leicht, aber die Hälfte habe ich schon«, er
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