Albert Schweitzer
Missionsgesellschaft als einfacher Missionar akzeptiert wurde. So reifte der Entschluss, als Arzt nach Afrika zu gehen.
Als er wenig später seine engsten Bekannten und Verwandten von seiner Entscheidung, die anfangs nur Helene Bresslau kannte, brieflich in Kenntnis setzte, stieß er bei fast allen auf allgemeines Unverständnis. Doch Schweitzer ließ sich nicht beirren: „Arzt wollte ich werden, um ohne irgendein Reden wirken zu können. Jahrelang hatte ich mich in Worten ausgegeben. Mit Freudigkeit hatte ich im Beruf des theologischen Lehrers und des Predigers gestanden. Das neue Tun aber konnte ich mir nicht als ein Reden von der Religion der Liebe, sondern nur als ein reines Verwirklichen derselben vorstellen. Ärztliche Kenntnisse ermöglichten mir dieses Vorhaben in der besten und umfassendsten Weise, wohin auch immer der Weg des Dienens mich führen mochte.“
Im Oktober 1905 begann Albert Schweitzer sein Medizinstudium. Er hatte sich bei Professor Fehling, demdamaligen Dekan der medizinischen Fakultät, gemeldet und wäre von diesem, wie Schweitzer humorvoll berichtete, am liebsten gleich an den Kollegen von der Psychiatrie überwiesen worden.
Die Jahre des Medizinstudiums waren für Schweitzer eine äußerst anstrengende und belastende Zeit, ein ständiges Ringen mit der Müdigkeit. Er hatte sich nicht dazu entschließen können, seine theologische Lehrtätigkeit an der Straßburger Universität und sein Predigtamt als Vikar aufzugeben, da beides ihm viel bedeutete. Zudem nahm ihn die Orgel intensiv in Anspruch, musste er doch mehrfach in jedem Winter zu Konzerten der von ihm mitbegründeten Pariser Bachgesellschaft nach Paris reisen. Diese Konzerttätigkeit in Paris nahm jeweils mindestens drei volle Tage in Anspruch. Auch die Teilnahme an Bach-Aufführungen im fernen Barcelona forderte ihren zeitlichen Tribut. Schweitzer hatte seine Teilnahme an Konzerten ausgedehnt, um einen finanziellen Ausgleich für den Wegfall seines Gehalts als Stiftsdirektor zu schaffen. Er wollte ja seine ärztliche Tätigkeit in Afrika ohne finanzielle Hilfe durch die Missionsgesellschaft in Afrika beginnen, wie er dieser zugesichert hatte. Auch die Einkünfte aus dem erfolgreichen Bach-Buch halfen, diesen Plan zu verwirklichen.
Insbesondere die Vorlesungen nahmen ihn zeitlich sehr in Anspruch, zumal er als Hauptthema die Probleme im Zusammenhang mit der Lehre des Apostels Paulus gewählthatte. Und schließlich galt es ja auch noch, am Ende des Medizinstudiums die medizinische Dissertation anzufertigen. Alles in allem war es eine erdrückende, schier übermenschliche Arbeitsfülle, die Schweitzer sich auferlegt hatte. Ohne seine robuste Gesundheit, ohne die Fähigkeit, äußerst effizient und konzentriert arbeiten zu können und nicht zuletzt ohne die selbstlose, liebevolle Hilfe seiner künftigen Frau Helene wäre die Bewältigung dieses Arbeitspensums kaum denkbar gewesen.
Als Thema für seine medizinische Doktorarbeit hatte sich Schweitzer „Die psychiatrische Beurteilung Jesu“ gewählt – im Grunde eine logische Fortführung seiner bisherigen theologischen Auseinandersetzung mit der Leben-Jesu-Forschung. In dieser schmalen Schrift (46 Seiten plus drei Seiten begründender Vorrede) setzte sich Schweitzer mit den damals in Mode gekommenen Versuchen auseinander, Jesus wegen seines in hohem Maße außergewöhnlichen Auftretens als psychisch kranken Menschen darzustellen. Von Epilepsie bis hin zu schwerer Paranoia reichten die psychiatrischen Vermutungen der einschlägigen Autoren. Schweitzer wies nach, dass sie ihre „Diagnose“ ohne gründliche Kenntnisse der theologischen Forschung gewagt hatten, und kam in seiner Arbeit zu dem Schluss:
„Die Kritik der angeführten Pathographien ergibt also Folgendes:
1. Das in diesen Arbeiten verwandte Material ist zum großen Teil unhistorisch.
2. Von dem historisch gesicherten Material imponiert den Autoren eine Anzahl von Handlungen und Äußerungen Jesu als pathologisch, weil sie mit der damaligen Zeitauffassung zu wenig vertraut sind, um ihr gerecht werden zu können. Eine Reihe von irrigen Auffassungen rührt auch daher, dass sie in die eigenartigen Probleme des Verlaufs des öffentlichen Auftretens Jesu keinen Einblick gewonnen haben.
3. Von diesen unrichtigen Voraussetzungen aus und unter Zuhilfenahme von durchaus hypothetischen Symptomen konstruieren sie Krankheitsbilder, die selbst Artefakte [also künstliche Konstrukte] sind und überdies sich in die von den Autoren
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