Albert Schweitzer
diagnostizierten klinischen Krankheitsformen nicht restlos einreihen lassen.
4. Die einzigen psychiatrisch eventuell zu diskutierenden und als historisch anzunehmenden Merkmale – die hohe Selbsteinschätzung Jesu und etwa noch die Halluzinationen bei der Taufe – reichen bei weitem nicht hin, um das Vorhandensein einer Geisteskrankheit nachzuweisen.“
In der Summe sind die Versuche, Jesus als Psychopathen einstufen zu wollen, für Schweitzer „gleich null zu bemessen“.
Im Oktober 1911 begann für Schweitzer das medizinische Staatsexamen. Zwei Monate später, am 17. Dezember,hatte er den letzten Prüfungsteil hinter sich gebracht. Welche Erleichterung! Schweitzer meinte zu träumen, als er an diesem Winterabend das Krankenhaus verließ. Er konnte es kaum fassen, „dass die furchtbare Anstrengung des Medizinstudiums hinter mir lag“. Nun galt es noch, das praktische Jahr als Volontär in den Kliniken zu absolvieren und die schon erwähnte Doktorarbeit abzuschließen.
Inzwischen liefen längst die Vorbereitungen für die Ausreise nach Afrika. Das Frühjahr verbrachte Schweitzer in Paris, um grundlegende Kenntnisse in Tropenmedizin zu erwerben und Medikamente für sein künftiges Spital in Afrika zu kaufen. Am 18. Juni 1912 heirateten Helene und Albert – beide aufgrund der körperlichen Strapazen der zurückliegenden Jahre gesundheitlich ziemlich angeschlagen.
Schweitzer hatte seine geliebten Tätigkeiten als Hochschullehrer und Prediger aufgegeben, um sich ganz auf die bevorstehende Ausreise konzentrieren zu können. Ein Verzicht, der ihm sehr schwer gefallen ist: „Nicht mehr zu predigen und nicht mehr Vorlesungen zu halten bedeutete einen schweren Verzicht für mich. Bis zu meiner Abreise nach Afrika vermied ich es dann nach Möglichkeit, an St. Nicolai oder an der Universität vorbeizugehen, weil der Anblick dieser Stätten eines nie wiederkehrenden Wirkens mir zu schmerzlich war. Noch heute kann ich den Blick nicht auf die Fenster des zweiten Hörsaals ostwärts vom Eingang des großen Universitätsgebäudesgerichtet halten, in dem ich gewöhnlich zu lesen pflegte.“
Durch Bittgänge zu Freunden und Bekannten erreichte Schweitzer, dass ihm die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt wurden, um den Unterhalt des Urwaldkrankenhauses für mindestens ein Jahr zu sichern. Die Gewissheit der finanziellen Unabhängigkeit und Sicherheit bewog ihn schließlich, der Pariser Missionsgesellschaft seine Dienste als Arzt anzubieten und den gestrengen Herren des Komitees zuzusichern, dass mit diesem Angebot keine Geldverpflichtungen auf die Gesellschaft zukämen. Doch erst nachdem er das Versprechen abgelegt hatte, nur als Arzt und nicht etwa als Prediger zu wirken („stumm zu sein wie ein Karpfen“), stimmte das Komitee den Plänen zu. Man muss sich die Ironie dieser Situation einmal bewusst machen: Da wird einem renommierten Theologen, der seinen Entschluss, nach Afrika gehen zu wollen, ganz und gar auf die konsequente Nachfolge Jesu gegründet hatte, das Versprechen abverlangt, auf jegliche Verkündigung im fernen Missionsgebiet zu verzichten und sich ausschließlich auf medizinische Tätigkeiten zu beschränken. Wie gut, dass Schweitzer in Lambarene auf tolerante Missionare traf, die ihm schon bald ermöglichten, ja ihn dazu ermunterten, sich aus den Fesseln seines „Karpfen-Daseins“ zu befreien. Gemeinsames Gebet, Andachten und regelmäßige Gottesdienste waren schließlich die tragenden Säulen des Glaubens in der Lebensgemeinschaft Lambarene!
Während seines Medizinstudiums war Schweitzer literarisch nicht untätig geblieben. So betrieb er intensiv seine Paulus-Studien weiter, die aber erst sehr viel später (1930) in einer vervollständigten Fassung als Buch unter dem Titel „Die Mystik des Apostels Paulus“ erschienen. Zunächst veröffentlichte Schweitzer lediglich die „Geschichte der Paulinischen Forschung“, eine problemgeschichtliche Abhandlung, die er eigentlich nur als einleitendes Kapitel zu seinen umfassenden Paulus-Studien gedacht hatte. Im Lauf der Auseinandersetzung mit dem theologisch komplexen Thema sah er jedoch bald ein, dass diese Problemgeschichte zu einem eigenen Buch heranwachsen würde. Als Resultat dieser Studie von 1911 hielt Schweitzer fest:
„Als Ergebnis der Geschichte der wissenschaftlichen Erforschung der Gedankenwelt Pauli hatte ich im Jahre 1911 also festzustellen, dass das damals allgemein als aussichtsvoll angesehene Unternehmen, eine als nichtjüdisch
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