Albert Schweitzer
schließt die Augen eine Stunde, und wenn man sie öffnet, erblickt man wieder genau, was schon vorher da war.“
Der Empfang in Lambarene war herzlich und freundlich, die anfänglichen Arbeitsbedingungen keineswegs. Schweitzer, später der ausgewiesene Anwalt für das Lebensrecht der Tiere, wird zum Jäger von Spinnen und anderem Krabbelgetier, um den vorgesehenen Wohnraum erst bewohnbar zu machen. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich in den Urwalddörfern die Nachricht, dass ein neuer Arzt in Lambarene eingetroffen sei. Noch bevor die 70 vorausgesandten Kisten mit dem notwendigen Spitalbedarf eintrafen, mussten Helene und Albert schon Patienten behandeln – zunächst unter freiem Himmel und dann im eiligst dafür hergerichteten Hühnerstall.
Joseph, ein ehemaliger Koch, wurde zum ersten Gehilfen der Schweitzers. Er war sehr intelligent, sprachbegabt und bediente sich, wenn es um die Schilderung der Patientenbeschwerden ging, der gewohnten Küchen-Kenntnisse: „Dieser Mann hat Weh im rechten Gigot. Diese Frau hat Schmerzen in den oberen Koteletten und im Filet.“ Hatte ein Patient einen zu niedrigen Puls, so lautete Josephs Diagnose: „Die Uhr des Mannes geht zu langsam.“
Das Wohnhaus der Schweitzers („Doktorhaus“) wurde renoviert, der Bau der ersten Patienten-Unterkünfte rasch in Angriff genommen. Der künftige „Urwald-Architekt“ Schweitzer machte seine ersten Erfahrungen alsBaumeister. Helene kümmerte sich um das medizinische Instrumentarium, bereitete die chirurgischen Eingriffe vor, bei denen sie auch als Assistentin fungierte, war zuständig für die Verbandsstoffe und Operationswäsche. Dies alles neben ihren Aufgaben, die sie als Hausfrau zu bewältigen hatte. Ein reichhaltiges, anstrengendes Arbeitsprogramm, aber sie war glücklich, so glücklich wie kaum jemals danach in ihrem Leben.
Um einen einigermaßen geordneten Ablauf des Spitalbetriebs zu gewährleisten, sah sich Schweitzer zu einer drakonisch anmutenden Hausordnung genötigt, die jeden Morgen den wartenden Patienten von einem Heilgehilfen vorgetragen wurde: „1. Es ist verboten, in der Nähe des Doktorhauses auf den Boden zu spucken. 2. Es ist den Wartenden untersagt, sich miteinander laut zu unterhalten. 3. Die Kranken und ihre Begleiter sollen für einen Tag Nahrung mitbringen, da nicht alle schon morgens behandelt werden können. 4. Wer ohne Erlaubnis des Doktors die Nacht auf dem Boden der Station verbringt, wird ohne Medikamente fortgeschickt. [Es kam nämlich nicht selten vor, dass von weither angereiste Patienten nachts in den Schlafsaal der Schulknaben eindrangen, sie vor die Tür setzten und ihre Plätze einnahmen.] 5. Die Flaschen und die Blechschachteln, in denen man die Medikamente erhält, müssen wieder zurückgebracht werden. 6. Wenn das Schiff in der Mitte des Monats den Strom hinaufgefahren ist, soll man außer in dringenden Fällen den Doktor nicht aufsuchen, bis das Schiff wieder heruntergefahren ist, da er während jener Tage um die guten Medikamente nach Europa schreibt.“ Das waren die Alltagssorgen des Dozenten, Schriftstellers und Künstlers Albert Schweitzer: Die „Prosa“ Afrikas hatte ihn erreicht. Ohne Ordnung ging es nun einmal nicht, und Schweitzer lernte sehr rasch, wie wichtig unumstößliche Grundregeln im Umgang mit den unbekümmerten, auf ihre Art beneidenswert freien Einheimischen waren, wenn die vielfältigen Aufgaben im Spitaldorf bewältigt werden sollten.
Lambarene–Blick auf den Fluss und das spital
Schweitzer war als Arzt sehr erfolgreich. Sein Ruf als „Oganga“ (Fetischmann, Medizinmann) sprach sich schnell herum, der Zustrom an Patienten wuchs kontinuierlich. In der Hauptsache hatte es der Urwaldarztmedizinisch mit Dysenterie (Ruhr), Malaria, Haut- und Elephantiasisgeschwüren, Krätze, Schlafkrankheit, Zahnproblemen, Herzerkrankungen, Geschlechtskrankheiten zu tun. Chirurgisch nahmen ihn vor allem Hernien und durch Unfälle verursachte Knochenbrüche in Anspruch. Magengeschwüre und Krebserkrankungen waren hingegen so gut wie unbekannt.
Alltag hinter der spitalstraße von lambarene
Schweitzer hat von Anfang an das Spital nicht nach europäischen Standards errichtet, sondern wollte eine dörfliche Gemeinschaft schaffen, die den Gewohnheiten und Bedürfnissen der Eingeborenen möglichst authentisch entsprach. Zu dieser Spitalgemeinschaft gehörten wie selbstverständlich auch Tiere, und Schweitzers spätere Afrika-Berichte enthalten denn auch mancheköstliche Episode um die
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