Albspargel
endlich auf mein Klapprad und ins Bett.
Welcher Wahnsinnige hat eigentlich vorgeschlagen, bei hochkomplexen Themen Volksabstimmungen das letzte Wort zu lassen?
Beim Hinausgehen dann wieder die Versuche von Fritz und vom Wirt, mich doch noch zu einer dezidierten Aussage zu bewegen, mich vor ihren Karren zu bringen.
Dann waren da noch die üblichen aufdringlichen Frager und Wichtigtuer, die ich lange nicht loswurde. Aber ich wollte weder vor einen Karren gespannt werden noch klugscheißerische Fragen beantworten.
Wohl im Sommer 1946, als ich fünf war, stromerten wir Kleinen mit den großen Buben durch die Wälder. Noch immer lag an vielen Stellen von deutschen Soldaten in den letzten Kriegstagen weggeworfene Munition im Laub, als hätte es Stahl und Messing gehagelt.
Wir bewunderten die Großen, wie sie überhaupt keine Angst hatten vor den Patronen, von denen sie ganze Säcke voll aufsammelten. Dazwischen lagen, das Messing schwarz geworden, Granaten, die wegen ihres Gewichts besonders begehrt waren.
Alles zusammen wurde dem Altmetallhändler gebracht – wohl nicht von den Buben, sondern von den Vätern. Aber sicher bin ich mir nicht bei allen.
Jedenfalls gelang es den Großen, die Patronen zu öffnen und das Pulver herauszuschütten. Es wurde gesammelt und gab immer wieder eine prächtige Verpuffung – für uns Kleine war es eine Explosion –, und wir jubelten jedesmal. Natürlich war es verboten. Aber das machte es noch großartiger.
Noch viel strenger verboten waren die »Schlüsselbüchsen«. Die Jungen stahlen hohle Schlüssel, je länger und dicker, desto besser. In die Höhlung hinein wurde Pulver aus den Patronen gestopft. Dann brauchte man einen langen Nagel, dessen Kopf auf das Pulver in der Höhlung gedrückt wurde. Hinter den Schlüsselbart und vor den Schlüsselgriff wurde nun eine Schnur gebunden und im Dreieck gehalten. Der Junge stellte sich vor eine Hauswand und brachte diese Schlüsselbüchse, wie man sie nannte, zum Schwingen, bis schließlich die Nagelspitze gegen die Wand schmetterte – im Inneren des Schlüssels zündete das Pulver, und mit einem Knall fuhr ein kleiner, aber eindrucksvoller Feuerstrahl aus dem Loch des Schlüssels. Manchmal freilich zerriss es den Schlüssel und zerschmetterte dem Jungen die Hand oder das Knie. Jeden Tag hörte man solche Geschichten. Die großen Buben hörten nicht darauf. Wir verstanden es noch nicht, für uns war es nur herrlich – die Tante, der Onkel und die Oma ahnten freilich nicht, dass ich dabei war und zuschaute.
Die Größeren dachten nicht an die Gefahren für uns kleinere Kinder. Wir halfen mit, Patronen zu sammeln, die oft noch nicht einmal abgefeuert worden waren. Wir waren dabei, wenn Pulver angezündet wurde, und wir jubelten und klatschten, wenn eine Schlüsselbüchse knallte.
Den gefährlichsten Fund aber hielt mit meinen fünf Jahren ich selbst in den Händen: Ich fand im Buchenlaub – ich sehe es heute noch vor mir – den rostigen Lauf eines Gewehres ohne Kolben. Ich war sehr stolz, dass ich die Waffe alleine gefunden hatte und trug sie über der Schulter wie ein Soldat – ich hatte ja genug Soldaten gesehen: Erst die Deutschen, dann die Besatzer, Amerikaner im Unterland, Franzosen auf der Alb.
Dazwischen verlief die Grenze zwischen Amerika und Frankreich, wie die Leute sagten. Erwachsene brauchten einen Passierschein, um von einer Zone in die andere zu gelangen. Dies ist wohl der Grund, warum ich damals manchmal – einmal alleine, mit einem Pappzettel um den Hals, auf einem Holzvergaser – auf die Alb geschickt wurde: Kinder brauchten den Passierschein nicht.
Schließlich kam ich auf den Gedanken, dass das Gewehr, wie ich den Lauf nannte, noch geladen sein könnte und dass ich als Kleiner auch so einen pfundigen Knall machen könnte wie die Großen. Die schaftlose Verlängerung des Krieges.
Aber wie sollte ich es anstellen? Ich schlug den Lauf mit dem hinteren Ende immer wieder kräftig senkrecht auf einen Stein und schaute rasch oben in die Mündung hinein, ob eine Kugel herauskam. Ich probierte es zuerst im Wald, dann mit ein paar Freunden hinter der Scheuer meines Onkels, schließlich, als nichts geschah, versuchte ich es allein.
Plötzlich verwandelte sich die Welt in einen von mir nicht erfassbaren Donner. Das Gewehr fiel mir aus der Hand, es roch nach verbranntem Haar. Ich war völlig verwettert und käseweiß, brachte kein Wort heraus und musste mich übergeben. Der ohrenbetäubende Knall war mir durch Mark
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