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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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du bist wahrscheinlich der einzige Zeuge.
    Aber vielleicht war der Schuss ja ganz bedeutungslos! Jemand wollte einen anderen erschrecken, und zufällig war nun ich das Opfer – ein Schuss in die Luft, wahrscheinlich eine Platzpatrone, Sack ins Gesicht, sie hatten irgendeinen Jungen erwartet und ihm einen Streich spielen wollen. Dann geriet ich dazwischen, und sie bemerkten es zu spät: Flucht mit dem Auto. Alles ganz harmlos.
    Ich sah Gespenster. Die Wahrscheinlichkeit sprach für eine völlig harmlose Spielerei unter der Dorfjugend – wir hatten früher ja auch über die Stränge geschlagen.
    Ein Mord, und dazu noch mit mir als Zeugen, war das Unwahrscheinlichste, reine Räuberfantasie. Der Mensch neigt zu solchen Fantasien, wohl weil er es so haben will: einmal einer von Millionen sein, der so etwas erlebt! Einmal Teil eines Krimis sein! Einmal die Welt des Fernsehens als Realität erleben.
    Vielleicht war ich sogar als Wissenschaftler Ziel des Streiches: Einige Jugendliche hatten sich über meine provokant nichtssagenden Ausführungen geärgert und bestraften mich, indem sie mich erschreckten.
    Sie beobachten mich, wohin ich fahre, überholen mich mit dem Auto – ich war mehrfach überholt worden, Versammlungsteilnehmer auf dem Nachhauseweg – dann beim Hochbehälter der Schuss aus einer Schreckschusspistole, schließlich noch der Sack ins Gesicht als nochmalige Steigerung des Schreckens.
    Gerade der Sackwurf bestärkte diese Gedanken: Wäre ein Verbrechen geschehen, hätte der Sack vor dem Schuss geworfen werden müssen, damit ich nichts sehen konnte, zum Beispiel das Fahrzeug oder gar die Zulassungsnummer. Der Sack aber war nach dem Schuss geworfen worden, als das Auto ab- und ich weitergefahren war. Der Wurf als Mittel, einen Zeugen gewissermaßen zu blenden, wäre schon aus diesem Grunde völlig untauglich gewesen.
    So sagte ich es mir schlaflos in der Nacht. Und es wäre mir auf diese Weise auch gelungen, die Ruhe wiederzufinden – aber da war das Grässliche vor zwanzig Jahren.
    Wenn es doch ein Verbrechen war! Jede Faser in mir sträubte sich dagegen. Und jede Faser in mir wusste letztlich, dass es so war. Schon beim Gedanken an das Frühstück stieg eine Welle aus Abwehr und Angst in mir hoch.
    Mein erster Instinkt sagte: abreisen, nicht als Sündenbock dastehen für Umstände, die ich gar nicht kannte!
    Ich müsste die Polizei verständigen!
    Die Vernunft riet dagegen: Du bist hier, um die Standortfrage einer Windkraftanlage zu prüfen. Die Vorgänge im Dorf gehen dich nichts an. Du bist Wissenschaftler und kein Bauer, auch kein Investor. Misch dich also nur ein, wenn nötig, zeige vielleicht deine Neugier, wie sie jeder hätte, biete deine Hilfe an, wenn es ein Opfer gibt, zeige die nötige Anteilnahme gegenüber den Angehörigen und noch vieles andere. Aber mit der Polizei hast du nichts zu tun. Die soll ihre Arbeit machen. Du machst deine.
    Eine Anzeige würde mich lächerlich machen. Abreise würde womöglich nach Flucht aussehen.
    Am nächsten Morgen – es war lange nach acht – empfing mich die gefürchtete Aufregung im Frühstückszimmer.
    »Sie wissen es noch gar nicht. Ein Mord!« Die Wirtin fasste sich an den Hals. »Ein Tigerfelder ist ermordet worden!«
    Es stellt sich in einer solchen Situation selbstverständlich zuerst die Frage nach dem Opfer. Wer ist ermordet worden? Erst dann die Fragen: Wo ist das Verbrechen geschehen? Wie ist es geschehen? Gibt es Verdächtige? Oder so ähnlich.
    »Wo ist ein Mord geschehen?«, fragte ich.
    »Ein Bauer aus Tigerfeld«, mischte sich ein Gast ein.
    »Sehr früh heute morgen haben sie ihn gefunden«, ergänzte die Wirtin.
    »Der Fritz Pocherd – erschossen!«, sagte der Wirt, der die Gaststube betrat. »Ich weiß es vom Henke Karl, der kommt gerade von Tigerfeld herüber.«
    Eine Bö in Orkanstärke wäre ein sanftes Säuseln gewesen gegen das, was ich bei dieser Nachricht empfand.
    »Einer der Gegner vom neuen Windrad hat ihn erschossen, einer dieser elenden Windkraftgegner«, behauptete ein Bauer, der nach dem Wirt den Raum betrat.
    Er hieß Toner Hubert und war sofort umlagert. Ich kannte den Mann nicht, nicht alle Investoren hatten an unserem Tisch gesessen. In Pfronstetten kannte ich die Leute nach zwanzig Jahren nicht mehr.
    »Am Hochbehälter zwischen Aichstetten und Tigerfeld hat heute ganz in der Frühe der Jörg Fuchslocher aus Tigerfeld die Leiche gefunden.«
    Ich hätte noch in der Nacht nachsehen müssen!
    »Herr Dr. Fideler, ist

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