Albspargel
und Bein gefahren und setzte mich noch lange einem schrillen Ton in den Ohren aus.
Nachbarn, die gelaufen kamen – sie dachten, dass Marokkaner auf Hühner geschossen hätten – fanden mich heulend, den rauchenden Lauf noch in der Hand. Sie sahen auch, dass mir die Haare an der Stirn verbrannt waren.
Die Nacht war hell, in wenigen Tagen war Vollmond. Die Kumulusbewölkung, die seit Sonntag angehalten hatte, war jetzt in der Nacht weitgehend in sich zusammengefallen, es war fast windstill: Die leichte Luftbewegung aus Nordwest konnte man nicht Wind nennen. Bei der Helligkeit des Mondlichts dünne Sterne.
Warum ich mit meinem Klapprad nicht auf der B 312 nach Pfronstetten fuhr, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Betrunken war ich von den drei Glas Bier bestimmt nicht. Wollte ich nicht von einem Auto angefahren werden? Aber der Verkehr auf der Bundesstraße war bei Nacht minimal, und ich bin kein ängstlicher Mensch. Ich habe mir in den folgenden Tagen lange und gründlich den Kopf zerbrochen, konnte aber, so wichtig das gewesen wäre, keinen triftigen Grund ausmachen. Die Bundesstraße wäre die kürzere Verbindung gewesen.
Andere Gründe als die kausallogischen? Obwohl ich auf diesem Gebiet nicht mitreden kann, fielen mir natürlich Erklärungen wie Hellsichtigkeit oder Zweites Gesicht ein – für einen Naturwissenschaftler nicht akzeptabel. Selbstverständlich gingen mir auch Begriffe wie Schicksal und Fügung durch den Kopf. Wer hätte dergleichen nicht einbezogen! Aber auch Schicksal und Fügung bedienen sich meiner Erfahrung nach stets der Kausalität. Das heißt, wenn es Bestimmung gewesen wäre, Schicksal, Fügung, Vorsehung, Kismet oder Schickung, so hätte doch ein äußerer Grund für meine Radfahrt über Aichstetten nach Pfronstetten erkennbar sein können oder sogar müssen – frische Luft, Bewegung nach dem langen Sitzen, um besser schlafen zu können, und dergleichen mehr.
Man könnte es auch Zufall nennen. Aber das Wort Zufall erscheint mir angesichts der Wucht der Ereignisse zu banal.
Sicher weiß ich, dass ich es einigen Umstehenden vor der
Krone
in Tigerfeld sogar zugerufen hatte, dass ich mit meinem Rad über Aichstetten fahren wollte, bevor mich dann diese Fragerei noch endlos aufgehalten hatte.
Als ich vor Aichstetten in der Nähe des Wasserreservoirs war, hörte ich von dort, unmittelbar beim Käppele, trotz des Fahrtwindes, ein eigenartiges Rascheln im Gebüsch. Alles, was dann geschah, war so überraschend, dass ich wohl nie in der Lage sein werde, die Abfolge der Ereignisse mit Zuverlässigkeit korrekt wiederzugeben.
Ein Knall, der mir in den Ohren dröhnte, es war ein Schuss, wie mir wohl erst nach einigen Sekunden bewusst wurde. Sicher ist, dass ich unmittelbar darauf schemenhaft ein Auto wahrnahm, das wohl auf dem Wirtschaftsweg neben dem Sträßlein nach Aichstetten abgestellt gewesen war und dessen Motorengeräusch ich nach dem Knall als Erstes wieder hörte. Auch sah ich die Schlusslichter, die kleiner wurden und Richtung Aichstetten verschwanden – nur die Schlusslichter, nicht Größe oder gar Autotyp. Auf eine Zulassungsnummer achtete ich in der Aufregung natürlich nicht. Ich glaube nicht, dass ich sie hätte erkennen können.
Dann, als ich erschrocken weitergefahren war, das Sträßlein schneidet dort in den Hang ein, kam plötzlich von oben, aus dem Dunkel, eine Gestalt. Etwas landete in meinem Gesicht – ein grober Sack, wie ich spürte; beinahe wäre ich gestürzt. Dann fand ich die Balance wieder, trat heftig in die Pedale, wahrscheinlich vor Schreck oder Angst, riss mir diese eigenartige Hülle mit einem Ruck herunter, konnte wieder sehen und schleuderte sie nach einigem Zögern im Fahren weg. Ich taumelte, hielt an und musste mich auf mein Fahrrad stützen.
Die Nacht verbrachte ich schlaflos.
Da war der Knall. Da war vor allem dieser Sack, der mir ins Gesicht geworfen worden war. Da war die Tatsache, dass ich in einer Blitzreaktion den Sack von mir geschleudert hatte, als wäre er vergiftet oder stünde in Flammen. Der lag jetzt draußen im Straßengraben kurz vor Aichstetten. Dann war ich wie von Furien gehetzt weitergefahren.
Warum ich den Sack weggeschleudert hatte, darauf fand ich keine Antwort. Sie lag – das wurde mir erst später klar – in dem, was vor zwanzig Jahren geschehen war, und das hatte ich, als ich hierher gefahren war, aus meinem Bewusstsein zu verbannen gesucht, erfolglos.
Du musst es der Polizei melden! Da gab es einen Schuss, und
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