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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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wirklichen Kontakt. Da sie aus Hamburg stammte, hatte sie auch Schwierigkeiten mit dem Dialekt, ja, geradezu einen Abscheu, den sie nie ablegte. Meine Kindheitserlebnisse, die sie interessierten, waren anfangs ein gewisser, wenn auch sehr oberflächlicher Ansatz gewesen, den Urlaub miteinander auf der Albhochfläche zu verbringen.
    Die Schwäbische Alb bietet viel, und Tigerfeld liegt günstig, um vielerlei wunderschöne Wanderungen zu machen. Und sie wanderte gerne. Aber ihre Interessen lagen doch eher in der weiten Welt; so waren wir im Laufe der Jahre auch in den USA, in China, in Südafrika, auf den Osterinseln und Galapagos, in Namibia und in Neuseeland gewesen. Zuerst war das kein Problem, wir hatten abgewechselt. Aber schließlich merkten wir, dass sich unsere Wünsche und Bedürfnisse letztlich nicht deckten. Mir waren drei ruhige Wochen in der Provence oder der Normandie oder auch nur zum zehnten Mal eine Wanderung durch das Glastal oder das Lautertal oder am Albtrauf Abwechslung genug.
    Dabei bin ich kein Langweiler – sie hat das immer zugegeben: Ich sei sehr geistreich und wolle den Dingen immer auf den Grund schauen. Aber unser Lebensrhythmus war zu verschieden.
    Die Scheidung ging von meiner Frau aus, nicht von mir.
    Eineinhalb Jahre nach meiner Scheidung lernte ich im Sommer Amelie kennen. Sie war zu jung für mich, ich gebe das zu – gerade mal neunzehn. Ich wurde fünfzig.
    Wir trafen uns nicht weit vor dem Lämmerstein auf einer Wanderung durch das Glastal nach Zwiefalten. Ich wollte diesen Weg, den ich schon tausendmal gegangen war, einmal in aller Ruhe wieder gehen, um zur Besinnung zu kommen, auch nach eineinhalb Jahren Scheidung waren vierzehn Jahre Ehe nicht einfach so hinter sich zu lassen.
    Amelie Riegeler hatte sich einer Gruppe von Landfrauen angeschlossen, die eine Wanderung nach Zwiefalten machten. Sie wollte Grundschullehrerin werden in Weingarten, half aber an Wochenenden oder in den Ferien auf dem heimatlichen Hof mit, wie das viele Söhne und Töchter von Bauern tun oder besser gesagt tun müssen, weil die Höfe mit Fremdarbeit meist nicht zu halten sind.
    Sie hatte sich den Fuß verknackst und war hinter ihrer Gruppe zurückgeblieben. Als ich sie einholte, saß sie auf einem Stein im Schatten eines Wacholderbuschs und hielt sich den Knöchel – ein hellblondes Mädchen zwischen weißen Blüten im blauen Sommerkleid, umgeben von Knabenkräutern und Silberdisteln und umflattert von Pfauenaugen, Kaisermänteln und Bläulingen.
    »Kann man helfen?«, fragte ich höflich.
    Ich kannte sie flüchtig vom Sehen und natürlich ihre Familie, wusste aber nicht einmal ihren Vornamen.
    »Nein«, sagte sie fröhlich, »mir kann niemand helfen.«
    In der Folge verliebten wir uns ineinander. Für mich war es eine Wiederkehr der Jugend, eine tief und neu empfundene Süße, von der ich meinte, ich hätte sie längst hinter mir gelassen. Ich will die Zeit mit ihr nicht ausmalen. Es ist zu schmerzhaft.
    Ihren Vater hatte sie nie gekannt. Er war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, da war sie gerade ein Jahr alt gewesen. Aufgewachsen war sie zunächst bei Verwandten, da die Mutter durch ihre Arbeit sehr gebunden war. Dann hatte die Mutter wieder geheiratet, einen Mann, zu dem Amelie nie Zugang gefunden hatte. Er schlug sie wohl auch. So könnte die Psychologie ihre Neigung zu einem älteren Mann wie mir erklären. Aber das konnte mir gleichgültig sein. Wenn ich auch Wissenschaftler genug war, mir diese Frage zu stellen und zu beantworten.
    Wir gingen miteinander, wie die Leute hier sagen. Sie sagen es aber nur, wenn die Verhältnisse stimmen – bei unserem großen Altersunterschied stimmten sie nicht. Man kannte mich zwar, aber ich war letztlich nicht aus dem Dorf und hatte zudem einen exotischen Beruf. Was sollten sie sich unter Windströmungsforschung vorstellen? Für den einen oder den anderen mochte es bei allem Respekt vor dem Titel sogar windig klingen.
    Die Leute im Dorf zerrissen sich das Maul über uns: Was will ein Fünfzigjähriger mit einer kaum Neunzehnjährigen? Doch nur das eine! Freilich geschah das so, dass wir es kaum merkten, nur Nadelstiche, keine Hammerschläge.
    Amelie war hübsch und hatte ein beglückend frisches Wesen, sie lachte gerne, und sie besaß die warme und natürliche Herzlichkeit, die ich bei der eleganten, selbstsicheren und weltläufigen Anja vermisst hatte.
    Natürlich hatte Amelie Verehrer, im Ort und vor allem an der Hochschule in Weingarten. Sie

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