Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
Vom Netzwerk:
Baden-Württemberg und schließlich wegen des Windkraftprojektes und den sich daraus ergebenden Theorien und Verdächtigungen die ganze Bundesrepublik.
    Fritz Pocherd war nach Ende der Versammlung vor mir nach Hause gegangen und hatte mir noch einmal zugenickt, als ich mich gerade auf das Fahrrad schwingen wollte. Aber dann hatte ich noch, wie schon erwähnt, ein paar penetrante Klugscheißer abfertigen müssen. Ich wusste nicht mehr, wie lange das alles gedauert hatte. Eine halbe Stunde mochte es schon gewesen sein.
    Erinnerungen an Fritz Pocherd. Ich hatte ihn ja zwanzig Jahre nicht mehr gesehen, und wir waren damals nicht im Frieden auseinandergegangen. Aber als ich ihm jetzt wieder begegnet war, hatte er mich wieder so sehr in seinen Bann gezogen, dass es fast befremdlich war. Gut, er brauchte mein Gutachten, und die Pocherds wussten, wo etwas zu holen war. Aber es war mehr. Es waren auch nicht nur die alten Erinnerungen. Vielleicht war es seine Art; sie war nicht rheinländisch, mit Umarmung, Schulterklopfen und Lachen, wenn auch etwas davon darin steckte. Es war auch nicht die plumpe Herzlichkeit, der man bei Politikern begegnet. Es war etwas von alledem, aber dennoch mehr: Eine Geradlinigkeit, die mit Großzügigkeit einherging, wie man sie weder in dieser Gegend noch in dieser auf ihren Vorteil bedachten Familie erwartet hätte. Er war ein Großmaul, und man konnte bei ihm lernen, wie man reich wurde. Doch Fritz Pocherd war nicht nur der Mann, der über Leichen ging.
    Da waren zum Beispiel Fritz und der alte Finkler Fere. Der Finkler Fere, längst Witwer, dessen Hof nichts mehr abwarf und dessen einziger Sohn als Ingenieur irgendwo zwischen Düsseldorf und Wanne-Eickel nichts mehr vom Vater wissen wollte, hatte einmal in der
Krone
halb besoffen mit schwerer Zunge zu den Umsitzenden gesagt: »Warum ich saufe? Geht euch einen Dreck an. Aber wenn’s dich friert« – er wandte sich direkt an Fritz – »weil du kein Holz mehr hast, weil sie dir nämlich zu allem noch dein Holzrecht gepfändet haben, Fritz, dann wärmst auch du dich an der Flasche.«
    »Wart«, hatte Fritz zur Antwort gegeben, »dir weiß ich eine Wärmflasche, die gibt wärmer.«
    Viele hatten es gehört, und so ging es im Ort herum. Die meisten hielten es für eine Drohung. Aber Fritz Pocherd überließ ihm im Fetzenried eine Holzgerechtigkeit zur Nutzung, sogar mit notarieller Beglaubigung. Der Fere hat es mir einmal gesagt und dabei geheult. Ich glaube nicht, dass es im Ort sonst noch jemand wusste.
    »Reich ist, wer großzügig ist: Er genießt seinen Reichtum am meisten. Der Geizkragen pflegt nur den Mangel.«
    Das habe ich einen alten Herrn sagen hören. Er war aber nur weise, nicht reich.
    Ständige Anwesenheit in Tigerfeld war für meine Aufgabe nicht erforderlich. Ich musste nicht am Ganswinkel stehen und den Gräsern zusehen, wie der Wind sie bewegte oder wie er die ersten Blätter jagte, die von den Bäumen fielen. Dennoch zwang es mich nun, trotz aller Bedenken erst recht im Ort zu bleiben. Ich weiß nicht, war das die übliche Neugier, die uns fast alle irgendwann mehr oder weniger zu Katastrophentouristen macht?
    Vom Futterhaus meines Onkels bis zum Hochbehälter standen schwarze Knäuel von Menschen. Das Sträßlein war verstopft. Durch die Menschenmasse hindurch blinkte beim Aichstetter Käppele die weiß-rote Absperrung um den Tatort. Sie war weiträumig angebracht, bis über den Wirtschaftsweg hinüber reichte sie, so dass kein Durchkommen war nach Aichstetten. Vor der Absperrung standen in langer Reihe Polizeieinsatzfahrzeuge.
    Warum ich nicht wenigstens bis zur Abschrankung vordrang? Es war nackte Angst, die schon bei der ersten Nachricht vom Mord aufgebrochen war, die ich aber bis jetzt nicht wahrhaben wollte: Der alte Verdacht würde aufbrechen und auf mich herabstürzen.
    Und ich musste damit rechnen, dass jemand schrie: »Da kommt er – der Mörder kehrt an den Tatort zurück!«
    Die kalte Stimme des Hochstechers würde sagen: »Wer einmal mordet, mordet auch ein zweites Mal.«
    Jemand würde den ersten Stein werfen.
    Da war noch mehr: Ich war Zeuge, vielleicht der einzige Zeuge, und hatte mich der Pflicht zur Aussage entzogen. Und da war der Sack, der immer noch vor Aichstetten im Straßengraben lag.
    Ich fuhr über die B 312 zurück nach Pfronstetten und vergrub mich in meiner Arbeit.
    Am Nachmittag des folgenden Tages klopfte es an meine Türe. Ich hatte zwei Zimmer gemietet, die nebeneinander lagen, ja sogar von

Weitere Kostenlose Bücher