Albspargel
erzählte mir das alles treuherzig und brach manchmal in ihr helles Lachen aus, wenn sie von den Anstrengungen und Einfällen ihrer Verehrer berichtete, und konnte es nicht verstehen, wenn ich nicht auch lachte, ja, wenn mir die Jungen sogar leidtaten, die ja dasselbe Mädchen gern hatten wie ich. Und die, wenn ich ehrlich war, für sie angemessener gewesen wären als ich.
Liebte sie mich wirklich? Oder war die Bindung an mich doch eher nur psychologisch begründet, eine Bindung, welche die Natur, wie es im Homo Faber als Inzest noch drastischer dargestellt wird, auf den Kopf stellt?
Selbstverständlich hätte ich mich von Anfang an zurückhalten sollen. Ich hätte der inneren Stimme gehorchen müssen, von der unsere Situation exakt analysiert wurde. Das menschliche Leben aber fühlt sich nur selten an exakte Analysen gebunden.
Natürlich war ich um Jahre jünger, wenn sie um mich war, was freilich nur an Wochenenden geschehen konnte und auch da nur mit großen Schwierigkeiten, weil ihre Familie erwartete, dass sie daheim im Stall oder auf dem Feld half. Natürlich ging ihre Frische auf mich über, so dass sich sogar meine Leistungen im Institut deutlich steigerten. Einer der Kollegen damals bemerkte sogar: »Sind Sie in den Jungbrunnen gefallen? Und wenn ja, verraten Sie mir, wo er steht?«
Ich spürte die Abneigung der Leute im Dorf gegen mich jedes Mal deutlicher, wenn ich durch den Flecken ging. Ihr Verehrer in Tigerfeld war Karl Pocherd, der Sohn des Fritz Pocherd. Karl, nur ein Jahr älter als Amelie, war fast das Abbild seines Vaters. Er hatte die gleiche Statur, war aber kleiner; er hatte seine fordernde, helle Stimme, seine auffällige Art sich zu kleiden, seine aggressive Lautstärke am Stammtisch in der
Krone
. Er hatte auch etwas Zielstrebiges, manchmal fast Verbissenes, auch das erinnerte an seinen Vater. Andererseits fehlte ihm dessen herzliche Lebenslust und Großzügigkeit ganz.
Fritz sprach mich sogar einmal an: »Ich rede jetzt nicht von Karl – das ist sein Problem. Aber bist du nicht zu alt für sie? Ich kenne dich doch als einen vernünftigen Mann und jetzt eine solche Geschichte, bei der sich jeder das Maul verreißt!«
Ich gab ihm recht. Es war nicht vernünftig. Keinesfalls. Aber seit wann ist Liebe vernünftig? Ich weiß nicht mehr, was ich ihm geantwortet habe.
Gerüchte wurden laut, wie das immer so geht. Ich hätte Amelie verführt und hörig gemacht, und sie käme jetzt nicht mehr los von mir. Ich würde Amelie unter Druck setzen, wahrscheinlich sogar finanziell, meinten andere.
Amelie weinte.
Ich will es nicht weiter ausdehnen: Eines Morgens im September wurde meine Amelie gefunden, tot; vergewaltigt, erdrosselt.
Von meinem Jammer, ja Absturz ins Bodenlose will ich nicht reden. In der Welt klaffte eine rohe Wunde, die sich letztlich bis heute nicht geschlossen hatte.
Im Dorf stand der Täter vom ersten Augenblick an fest: ich.
Motive für eine Tat lassen sich immer finden: Amelie wollte sich von mir lösen, einen Jüngeren haben, zum Beispiel Karl Pocherd. Ich aber war ein bösartiger Egoist, ja, ein Sadist, ein Perverser, der von dem Mädchen Dinge verlangte, die es nicht geben wollte. Die Beziehung, wurde behauptet, war gar nicht so eng, wie das nach außen hin aussah – ich hatte immer nur mit ihr angegeben, hatte immer mehr von ihr gewollt und es mir schließlich mit Gewalt genommen. Das Mädchen hätte sich von Woche zu Woche stärker gewehrt, hieß es, aus natürlicher Reaktion gegen einen so alten Kerl wie mich. Es fanden sich auch hurtig Zeugen, die angeblich derartige Streitigkeiten mitbekommen hatten – zum Schluss sei zwischen uns nur noch Streit gewesen. Gelegenheit zu der Tat hätte ich fraglos herbeiführen können.
Karls Vater Fritz redete nicht mehr mit mir, hielt sich aber sonst zurück. Für Karl war die Abfuhr durch Amelie eine unerhörte Beleidigung gewesen – einen Pocherd verschmäht man nicht! Und schon gar nicht zugunsten eines Greises.
Ich konnte mich im Ort nicht mehr blicken lassen. Mein Wagen wurde zerkratzt und mit Dreck beworfen. Einmal fand ich ihn am Morgen über und über mit einer roten Farbe beschmiert, und mit großen Buchstaben in plumper Schrift war das Wort Mörder auf der Motorhaube zu lesen. Auch die Werkstatt meines Kundendienstes brachte die Farbe nicht herunter. Der Wagen musste abgeschliffen und neu gespritzt werden.
Ich erzählte in der Werkstatt in Stuttgart etwas von Vandalismus, Halbstarken und Ähnlichem.
Mein
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