Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
Vom Netzwerk:
früher noch durch eine sonst immer abgeschlossene Türe verbunden waren. Diese Türe war nun geöffnet, so dass ich einen Schlafraum und einen Arbeitsraum zur Verfügung hatte.
    Zu meiner Überraschung war es Herr Mazzuoli, der Kronenwirt aus Tigerfeld.
    »Wollte Sie mal besuchen – ist ja alles interessant, was Sie hier so treiben.«
    Hörte ich eine Anspielung? Nein, es ging nicht um Mord. Dem Kronenwirt ging es um Wind. Sein breites, überschwängliches südländisches Grinsen, mit dem er mich begrüßte, passte weder zum Tag noch zu seinem Anliegen.
    »Ich mache mir Sorgen«, sagte der Mann, während dieses unnatürliche Lachen in seinem Gesicht erlosch, »große Sorgen, wie es nun weitergehen soll mit dem Ganswinkel-Projekt.«
    Diesen Ausdruck hatte ich noch nicht gehört. Vielleicht gehörte er zum Code der Anleger. Ich nickte ihm zu, mehr aus Neugier als aus Hilfsbereitschaft. Im Gegenteil, er wollte mein Urteil beeinflussen, wie alle hier, die mich angrinsten. Ich konnte das nicht brauchen.
    Ich wollte etwas über den Mord sagen – was wäre natürlicher gewesen? – brachte es aber nicht aus dem Mund.
    »Mein Vater, der Gastarbeiter in Mannheim war, hat seinerzeit viel Geld gespart, wie das unter Gastarbeitern üblich war. Du hast die Arbeit, die Familie im Mezzogiorno bekommt das Geld.«
    Sie verdient Respekt, diese erste Ausländergeneration. Keine selbstloseren Menschen gab es: Ringsum ein Land voll Wohlstand, überall die verlockendsten Genüsse – aber sie hausten in Dachräumen und Kellergeschossen, eingepfercht wie Hühner in Legebatterien, ausgenützt von Hausbesitzern, Familienvätern, die sonntags Christen, werktags Schinder waren. Die Italiener, Griechen, Türken, Spanier, Jugoslawen versagten sich alle Verlockungen und dachten nur an ihre Familie in Kalabrien oder Sizilien, in Athen oder Patras, in Konya oder Erzurum, in Madrid oder Barcelona, in Zagreb oder Skopje.
    »Es ist viel Geld, und ich habe das ganze Geld angelegt, dem Fritz gegeben, der sich auskennt, ihm auf Treu und Glauben überschrieben für die Windkraftanlage in Tigerfeld. Er hat mich überzeugt, und nun ist er tot.«
    »Sie haben sich doch sicher eine Quittung geben lassen?«
    »Natürlich. Aber wird die anerkannt? Oder heißt es: Fälschung aus dem Süden, aus Sizilien, gibt es dort nicht die Mafia? Wenn die wollen, bin ich dran – die Altersversorgung meines fünfundsiebzigjährigen Vaters, die
Krone
wird nicht zu halten sein. Die Frau krank!«
    »Das Geld liegt doch bestimmt auf einem Konto, das für die Finanzierung des Kraftwerks eingerichtet worden ist. Da steht Ihr Name, und alles ist in Ordnung.«
    »Nichts ist in Ordnung. Das Geld ist noch nicht eingezahlt. Fritz wollte es nicht verplempern, wie er sagte. Er hat es zuerst anderweitig angelegt. Es soll Zinsen bringen und nicht faul herumliegen, hat er immer gesagt. Erst wenn das Windrad gebaut wird, kommt es automatisch auf ein Sammelkonto, und ich bin aus dem Schneider.«
    Es war wie bei Jörg Fuchslocher. Auch Mazzuoli hatte jeden Grund zu wollen, dass die Windkraftanlage gebaut würde.
    Der Kronenwirt war nun sehr ernst geworden. Da war nichts mehr zu spüren von südländischer Leichtigkeit. Er sah aus, als hielte er mich für einen der vierzehn Nothelfer und würde gleich vor mir eine Kerze anzünden.
    »Ob so oder so, es ist doch ein Kleines für Sie«, behauptete er. »Der eine Experte sagt dies, der andere das – ein Gutachten ist ein Gutachten, mehr nicht. Aber es kann Segen entfalten.«
    Oder Fluch, dachte ich.
    Der Wind weht, wie die Sonne und die Topografie es wollen, wann und wo und wie. Und nicht, wie wir Menschen wollen. Ich bin nur Wissenschaftler, musste ich ihm sagen: Ich bin nicht zuständig für Schicksale. Aber ich sah plötzlich auch die Lüge. Wissenschaft ist Verantwortung, das sagt sich so leicht. Aber wie kann einer Verantwortung tragen, wenn er nichts weiß von den Verhältnissen, in die er hineinwirkt?
    Er deutete mein Schweigen falsch. »Sie machen es, nicht wahr?«
    »Was mache ich?«, fragte ich fast rüde. »Ich mache nicht den Wind, ich bin auch kein Nachlassverwalter. Ich bin nur Wissenschaftler und erfülle meine Pflicht.«
    »Bitte, Herr Dr. Fideler! Sie sprechen sich für die Windkraftanlage aus. Es soll mir nicht darauf ankommen.«
    Beinahe hätte ich ihn hinausgeworfen. Aber er tat mir leid, gleichzeitig war er mir immer noch sympathisch. Ich fühlte mich verletzlich und unsicher. Nie im Leben hätte ich noch einmal nach

Weitere Kostenlose Bücher