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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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mit der Axt auf den Ehemann los.
    »Weib, hilf mir doch!«, schrie das Opfer in höchster Not.
    »Wart nur, dir helf ich gleich!«, rief die Frau in einem grotesken und grausigen Zynismus.
    Denn der Ausspruch »Dir helfe ich« hat ja eine schreckliche Nebenbedeutung. Damit nahm sie einen krummen Ast vom Boden und schlug ebenfalls auf ihren Mann ein, und so schlugen sie ihn tot, zu zweit.
    Die Schreie des Opfers und der schreckliche Ruf der Frau aber waren gehört worden. Ein Zeuge wurde aufmerksam und beobachtete die Tat. Die beiden wurden noch am selben Tag festgenommen, nach Tübingen gebracht, dort zum Tode verurteilt und in Ulm, wo eine Guillotine stand, hingerichtet.
    Die Fahrt dorthin in offener Kutsche durch die vertrauten Felder und Dörfer und das Spalier der Menschen links und rechts wird die schrecklichere Strafe gewesen sein, weil sie den beiden zwar noch nicht das Leben, aber bei aller Todesangst die Würde nahm.

Tigerfeld, Aichstetten und Pfronstetten wurden von der Presse seit Tagen überfallen. Der Wasserspeicher war umlagert: Kamerateams, Fotografen, Journalisten, die im Dorf ausschwärmten und Leute suchten, die sie interviewen konnten.
    Ein Mord nicht im Heimatort und aus einem üblichen Grund bewegt die Menschen, abgestumpft durch »Tatorte« und andere Krimis, kaum mehr. Ist aber das Umfeld des Mordes spektakulär, wächst das Interesse ins Riesige. Hier nun war es ein Fall, bei dem ein gewisses Augenmerk der Öffentlichkeit, zumindest der Alb, bereits auf den künftigen Tatort gerichtet war. Windräder, deren Standort umstritten ist, haben Aufmerksamkeit. Hier nun war ein Mord geschehen, der sich in den Zusammenhang des Streites um einen Standort bringen ließ – der Fall war spektakulär.
    »Haben Sie das Opfer gekannt?«
    »Was für ein Mensch war er?«
    »Hatte er Neider?«
    »Können Sie sich Feinde vorstellen?«
    »Können Sie etwas über seine Familie sagen?«
    Diese Fragen stellte die seriöse Presse.
    Andere Fragen waren:
    »War seine Ehe glücklich?«
    »Geschah der Mord vielleicht aus Eifersucht?«
    »Hatte er eine Geliebte?«
    »War es sein Reichtum, der ihn umbrachte?«
    »Wen verdächtigen Sie?«
    »War er beliebt in der Gemeinde? Oder verhasst?«
    Die älblerisch-schwäbischen Antworten wurden später im Fernsehen oder im Rundfunk simultan übersetzt wie die Antworten eines ausländischen Staatsgastes.
    »Haben Sie von dem Mord etwas mitbekommen?«
    »Der Mord ist doch in der Nacht geschehen.«
    »Aber am Morgen nach der Mordnacht, was haben Sie da empfunden?«
    »Jeder ist erschrocken. Ich habe dann noch zu Thomas gesagt, das ist mein Mann –«
    »Sie kannten das Opfer?«
    »Ja, den Fritz hat doch jeder gekannt.«
    »Das Windrad – war er nicht einer der Investoren?«
    »Der wichtigste.«
    »Und?«
    »Ja, der hat schon viel Geld gehabt, der Fritz.«
    »Hängt das Geld mit dem Mord zusammen?«
    »Warum nicht?«
    »Hat man ihn im Ort um seinen Reichtum beneidet?«
    »Das kann schon sein. Aber man muss halt mit dem zufrieden sein, was man hat.«
    »Denken alle so im Ort?«
    So ging es weiter zwei, drei-, vier-, fünfmal.
    Die Anna Wenger, die Frieda Reischle und andere zeigten sich so aufdringlich auf der Straße, dass sie unausweichlich vor das Mikrofon oder die Kamera geraten mussten.
    Hinter dem oder der Interviewten trieben sich die Kinder herum und winkten oder streckten die Zunge heraus.
    Am Abend hörte ich im Rundfunk: »Eine Frage noch, bitte: Das ist doch sicher der erste Mord in Tigerfeld?«
    »Nein«, sagte eine Stimme, die zu Hans Schuster gehörte, »nein, vor zwanzig Jahren, wenn es mir recht ist, hat es schon mal einen Mord gegeben in Tigerfeld, an einer jungen Frau.«
    »Ist ja interessant. Und wurde er aufgeklärt?«
    »Nein, der Lump läuft noch heute frei herum. Und nicht nur ermordet, auch vergewaltigt hat er sie.«
    »Hatte man einen Verdacht?«
    »Der ganze Ort hatte einen Verdacht. Was sage ich, keinen Verdacht, sondern wir alle wussten und wissen heute noch, wer es war!«
    »Und die Polizei?«
    »Die taugt nichts. Da steht der Mörder buchstäblich vor ihrer Nase, und jeder sagt es ihr, aber sie greifen nicht zu. Keine Beweise, hat es geheißen, er hat ein Alibi.«
    »Aber im Ort wusste man es besser?«
    »Sag ich doch.«
    »Wissen Sie Genaueres? Gibt es einen Zusammenhang?«
    »Ich will in nichts hineinkommen. Aber fragen Sie doch einmal unseren Windsachverständigen.«
    Ich schaltete aus.
    Sicher war das unvernünftig, ich weiß. Aber ich wusste ja, was

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