Albspargel
Sack?«
Er hatte jetzt wohl jede Maske fallen lassen.
»Er ist heute Morgen vom Labor zurückgekommen.«
»Was soll ich mit einem Sack?«
Offen reden, lieber Felix Fideler!, schrie es in mir. Jetzt um Himmels willen alles sagen! Du warst Zeuge! Zeuge eines Mordes, wenn du auch kaum etwas gesehen hast! Die Vernunft lief Sturm, aber die Furcht war stärker: Die Herren verdächtigten mich ja bereits. Aber nachweisen konnte mir niemand, dass ich Zeuge war; niemand hatte mich gesehen, konnte mich gesehen haben! Was sollte ich mich dann noch zusätzlich in Gefahr bringen, indem ich sogar am Tatort gewesen war?
So schwieg ich vorerst. Schweigen kann Gold sein – hier war es Blech!
Der Kriminalhauptkommissar hatte weiße Handschuhe übergestreift und ließ sich einen großen, durchsichtigen Plastikbeutel reichen, in dem offenbar ein völlig normaler Mehlsack, so gut es in dem engen Behältnis ging, ausgebreitet war.
»Bitte sehr« Seine Stimme klang stolz. »Gefunden kurz vor dem Ortseingang von Aichstetten.«
Dort hatte ich ihn weggeworfen, in den Graben.
»Darf ich Ihnen unser vielversprechendes kriminalistisches Talent Hauptkommissar Steinhilber vorstellen?«
Mein Gegner war zu uns getreten, ein langer, hagerer Kerl, der eines Tages, so dachte ich, groteskerweise so aussehen würde wie ich, alt, groß, dünn, mit humorlosem Gesicht, keine Brille.
»Herr Hauptkommissar Steinhilber hat den Sack untersuchen lassen. Er hatte von der ersten Stunde an einen besonderen Blick auf diesen Sack geworfen.«
»Aber die Untersuchung hast doch du angeordnet, Hohwachter!« Die Stimme des Kollegen klang überrascht.
Sieh da, der Herr Steinhilber verdirbt dem Chef das Konzept. Dennoch: Nach seinem Fundort war es wirklich der Sack, den ich weggeworfen hatte.
»Es ist Blut an dem Sack!«, sagte Hauptkommissar Hohwachter mit Betonung und großer Handbewegung, die nicht recht zu seiner schlichten Windjacke passte.
Und Hauptkommissar Steinhilber fuhr fort: »Wir haben es untersuchen lassen. Es ist das Blut des Opfers.« Er machte eine bedeutungsschwere Pause.
Der Teufel ritt mich. »Gratuliere«, sagte ich mit gezwungen sicherer Stimme.
»Nicht wahr«, Hohwachter wandte sich jetzt ganz zu mir, »wir Kriminalisten finden unsere Wertsachen manchmal sogar im Straßengraben.«
»Wir Windmänner müssen auf Berge oder an die Küsten der Meere.«
»Das ist die Frage, ob sie auf die Berge müssen, Herr Dr. Fideler«, mischte sich jetzt Steinhilber ein. »Wir fragen uns: Wie kommt der Sack vom Hochbehälter zum Ortseingang von Aichstetten? Das ist das Rätsel. Denn er lag da ja schon am frühesten Morgen und muss da gelegen haben, bevor das Opfer entdeckt worden ist.«
»Eben«, stimmte Hohwachter zu, »wissen Sie etwas darüber?«
Sollte ich jetzt doch noch alles sagen? Es wäre gewissermaßen die letzte Möglichkeit, um auf den Zug der Ermittlungen aufzuspringen.
Pause.
»Sie könnten schon etwas wissen«, warf Hohwachter hin, bevor ich etwas sagen konnte. »Vier Zeugen haben ausgesagt, dass Sie das Gasthaus zur
Krone
in Tigerfeld kurz nach halb eins verlassen haben – mit dem Fahrrad«, wusste Steinhilber zu meinem Entsetzen.
»Mit dem Fahrrad«, sagte Hohwachter geschäftsmäßig, »wir haben uns erkundigt, Sie nehmen eigentlich meistens den Weg über Aichstetten und vermeiden die B 312, wenn Sie mit dem Fahrrad unterwegs sind.«
»Ist ja auch nicht ganz ungefährlich bei Nachtfahrten«, ergänzte Steinhilber, »die grellen Scheinwerfer, halb eingeschlafene PKW-Fahrer. Es gibt immer wieder tödliche Unfälle.«
»Wir haben uns das genau angesehen«, kam jetzt wieder Hohwachter, die beiden ergänzten sich prächtig.
»Senken und Kuppen, scharfe Kehren. Durchaus verständlich, da würde ich auch über Aichstetten fahren mit dem Rad«, meinte Steinhilber.
»Wir kennen den Zeitpunkt des Verbrechens recht genau: Der Tod muss eingetreten sein zwischen halb eins und eins, spätestens viertel nach eins. Sie können durchaus etwas gesehen haben.«
»Wir fragen uns nur, warum Sie das verschweigen. Oder haben Sie doch nichts gesehen? Dann könnte vielleicht eine weitere Untersuchung des Sacks –«
Die Bauchdecke zog sich mir zusammen: Genuntersuchung, Genmaterial, Speichelprobe, die Wissenschaft war in den letzten zwanzig Jahren gewaltig nach vorn gestürmt. Heute wehte ein anderer Wind als damals, als meine Amelie umgebracht wurde.
Meine letzte Chance! Ich ergriff sie.
»Es ist meine DNA, die Sie finden würden, meine
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