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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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an und stieg aus, auch wir sollten aussteigen.
    Vor uns eine düstere Wildnis. Über dem Winkel zog am hellen Himmel eine dunkle Wand herauf. Ich erinnerte mich an die Tigerfelder Wetterregel: Plumpst die Sonne am Abend in einen Sack, bringt sie Regen.
    »Wir halten hier, weil der Platz wichtig ist«, sagte Franziska, und Jörg nickte.
    Sie forderte mich auf, die Gegend ringsum genau anzuschauen, weil ich sie kennen müsse. Sie zeigte mir die schwarzen Wälder – die Schalkshüle und das Geisinger Hart vor uns, den Winkel im Westen mit dem Wolkenaufzug. Wir blickten über die Senke des Hasentals zum Auchtweidle. Dahinter das Tigerfelder Hart. Die Birke auf dem Butzenstein war bereits in der Dämmerung verschwunden.
    Was sollte das? Ich kannte das alles seit frühester Kindheit.
    Jörg sagte leise: »Im Hart hat man damals Amelie gefunden.«
    Ist das der versprochene Lohn für die Bestechung?, dachte ich enttäuscht: Die Gegend, in der alles geschehen ist. Und die Tante in Geisingen gibt es gar nicht! Dass man Amelie im Hart gefunden hat, wusste ich längst, und wozu waren wir dann in das Annaleu gefahren?
    Freilich, viel wusste ich wirklich nicht. Ich hatte es damals nicht wissen wollen, der Schmerz war zu groß gewesen, und dann hatte ich mich mit meiner eigenen Verteidigung beschäftigen müssen. Was mich besonders verdächtig gemacht hatte, war die Fundstelle der Toten im Hart, die wahrscheinlich dem Tatort entsprach, wie die Kriminalpolizei feststellte: Meine Amelie lag auf einem Acker der Familie Fideler.
    Die Tat war zwischen halb acht und zehn geschehen. Wieso war das Mädchen hinausgegangen in das Hart, obwohl es Ende September um diese Zeit völlig dunkel war? Sie musste einen Begleiter gehabt haben – und dieser Begleiter war ich, sagten die meisten Bauern. Und auch die Kommissare hätten es geglaubt, wenn nicht mein Alibi gänzlich unanfechtbar gewesen wäre.
    Die Bauern aber hörten nicht darauf: »Die halten doch alle zusammen da oben. Da kratzt keine Krähe der anderen die Augen aus. Der Fideler war es, wer denn sonst?«
    Ja, wer denn sonst? Diese Frage beschäftigte auch mich. Aber sie hatte nicht dazu geführt, dass ich mich um Details kümmerte. Von Franziska erhoffte ich mir nun solche Details – wenn aufgrund einer Bestechung oder Erpressung, von mir aus.
    »Wir haben hier gehalten, weil dies die alte Kiesgrube war, und weil die Bauern sie lange Zeit als Müllplatz benützt haben«, sagte Franziska.
    »Ich weiß«, sagte ich enttäuscht, um überhaupt etwas zu sagen.
    Ich erinnerte mich noch gut an die von Brennnesseln überwucherten Löcher, in denen die Bauern ihre Abfälle versenkten, Mauersteine mit Mörtel, kaputte Dachziegel, Balken, rostiges Eisengestänge, Scherben von abgebrochenen Kachelöfen, Tellern, Krügen und Tassen, schimmelnde Stofffetzen und vieles mehr.
    Schließlich hatten es die Behörden verboten.
    »Im Hart hat man die Tote gefunden«, redete Franziska ganz harmlos, »aber hier, in einem der Löcher in der Kiesgrube, lagen ihre Schuhe.«
    Ich fuhr überrascht hoch. »Ihre Schuhe? Und die Polizei?«
    Ich hatte nie davon gehört.
    »Nichts mit der Polizei«, war die Antwort. »Es war zu spät oder die Verwandten wollten nicht in die Mühle der Polizei geraten. Sie können ja jetzt dann gleich meine Tante fragen: Sie wird es noch wissen.«
    »Hat sie die Schuhe gefunden?«
    »Vielleicht, ich weiß es nicht sicher. Ich weiß nur, dass die Schuhe hier gefunden worden sind und dass man es der Polizei nicht gesagt hat.«
    Ich dachte zurück. »Hier war aber vor zwanzig Jahren schon lange keine Müllkippe mehr.«
    Ein Verbot, das freilich immer wieder missachtet worden war, bis heute, wie man sah.
    »Ich war da ja noch gar nicht geboren. Erst ein Jahr später«, lächelte Franziska, »aber da konnte ich noch nicht einmal laufen.« Sie hängte sich bei Jörg ein.
    »Und ich weiß auch nichts«, sagte Jörg, der sich bis jetzt ganz im Hintergrund gehalten hatte. »Obwohl ich schon vier war, aber eine Müllkippe in der Kiesgrube? Und Schuhe? Nein, keine Ahnung.«
    »Wo? Wann? Wer?« Meine Fragen kamen hart.
    »Vielleicht weiß Tante Helene mehr, sie war damals wohl in den Vierzigern«, versuchte Jörg zu besänftigen.
    Ich war damals gerade fünfzig geworden.
    »Tante Helene weiß alles«, sagte das Mädchen, »sie muss es am besten wissen! Meine Mutter hat oft davon geredet.«
    »Ihre Mutter?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Dann weiß die ja vielleicht auch eine Menge.«
    »Meine

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