Albspargel
älblerischem Ton und weihevollem Leiern: »Dankbar begrüßt den hohen Besuch die hier waltende Nymphe. Fröhlicher fließet dir nun, Friedrich, die rauschende Aach.«
Der gebildete Dr. Hagenbach allerdings hatte den Text schon vor der Bootsfahrt übersetzt, wenn auch nicht in klassisches Versmaß.
Und immer noch dieselbe Geschichte des Fährmanns: Wie im vorletzten Jahrhundert ein Boot mit jungen Frauen in der dunklen Höhle kenterte und seine Insassinnen ins eiskalte Wasser entlud. Keine der Frauen konnte schwimmen, aber alle wurden dank ihrer weiten Röcke gerettet, die sich aufblähten, so dass der Bach die Trägerinnen ins Freie trug.
Der unterirdische Maulwurf fiel mir ein, als uns der Höhlennavigator den Besatz des lichtlosen Wassers in der Höhle mit blinden und farblosen Höhlenwassertieren erklärte. Die moderne Zeit freilich hat mit elektrischen Glühbirnen Licht, zusätzlich Moose, Algen, Flechten und Farnbüschel in die Finsternis gebracht. Ob die uralten Höhlenwasserbewohner, die Troglobionten, dem modernen Licht gewachsen sind, blieb uns freilich verborgen, da darüber nichts vorkam im Text des Kahnführers.
Den Hintergrund der Höhle bildet eine Felsenwand, die dem Kahn den Weg versperrt, obwohl die Höhle unter dem Wasserspiegel weitergeht – ein Siphon, der für erfahrene Taucher die Länge der Höhle verzehnfacht, ja wohl zum allgemeinen Höhlenlabyrinth führt, das den Jurastock der Alb durchzieht.
Es war an diesem Sonnentag wie Sommer hier unten am Mühlteich der Aach. Kein kaltes Oktoberlüftchen fand den Weg herunter von den Hochflächen zu diesem von Waldhängen und den alten Mühlengebäuden geschützten Plätzchen mit den Tischen der Gastwirtschaft im Freien. Freilich, die Herbstnacht würde so dicht am Wasser mit Kälte und Nebel kommen.
Wir bestellten Linsen und Spätzle. Der Wirt setzte sich zu uns und erzählte die Geschichte der würzigen Linsensorte auf unseren Tellern. Sie war nämlich ein Ergebnis wissenschaftlicher Recherche. Es war die alte, eigentlich längst verloren geglaubte Linsensorte, die vor vielen Jahrzehnten auf der Schwäbischen Alb angebaut worden war: Laisa, wie man die Linsen hier nennt. Ich erinnerte mich noch an das Dreschen von Linsen, die mit Hafer zusammen angebaut wurden und einen entsetzlichen schwarzen Staub aufwirbelten, der die Drescher aussehen ließ wie die Bewohner Afrikas. Diese Alblinsen nun galt es wiederzufinden, weil sich alte Liebhaber an den guten Geschmack erinnerten und Hofläden sich von der Köstlichkeit Umsatz versprachen. Aber keine Samenbank Mitteleuropas besaß sie mehr. Detektivarbeit führte schließlich Schritt für Schritt auf den Spuren schwäbischer Auswanderer nach Russland: Fündig wurde man in St. Petersburg. Über schwäbische Auswanderer waren die Samen von der Alb an die Wolga und nach Bessarabien und von dort bis in das ferne Samenarchiv gelangt. Die wiedergefundenen Körner erwiesen sich immer noch als keimfähig.
Mir machte die Geschichte der ausdauernden Alblinsen Mut, ebenfalls mit meinen Nachforschungen fortzufahren.
»Was wissen wir?«, fragte ich.
»Zwei Morde«, sagte Dr. Hagenbach, »aber nicht irgendwelche zwei Morde, sondern zwei Morde, die miteinander verbunden sind.«
»Zunächst durch den Ort«, setzte ich hinzu, »wenn auch nicht exakt.«
»Und dann durch die Familie, entweder der Täter oder der Opfer.«
»Oder beides«, sagte ich, der die Verflechtungen der Familien hier oben kannte.
»Ein wichtiges Bindeglied«, sagte Dr. Hagenbach zögernd, »scheinen aber auch Sie zu bilden, Verzeihung, Herr Dr. Fideler.«
»Denn ich war ja beide Male hier oben.« In meinen Ton mischte sich Galle.
»Das meine ich nicht, aber man muss da glasklar vorgehen: Das erste Mal waren Sie es, der verdächtigt wurde – zu Unrecht, wie wir wissen. Das zweite Mal wurde der Verdacht bewusst auf Sie gelenkt. Auch das natürlich zu Unrecht«, setzte Dr. Hagenbach überflüssigerweise rasch hinzu. »Hier kommen wir nun nicht weiter«, stellte er abschließend fest.
Ich nickte.
Rund um uns mit unserem Gespräch über Mord und Totschlag das Wimsener Idyll: der Mühlteich, Enten fütternde Kinder; Spatzen, Buchfinken und Kohlmeisen, die zwischen den Beinen der Gäste und des Mobiliars die letzten Krumen des Sommers suchten. Die hellen Sonnenschirme, die bunten Menschen, irgendwo das Gedudel eines Radios und an einer der alten Türen ein ganz unpassendes Plakat: eine bunte Werbung der Spielbank in Lindau. Dazu das Glitzern
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