Albspargel
widerstehen können und hehlingen zugegriffen. Aber nüchtern musste sein, wer zum Tisch des Herrn wollte: Wenigstens eine Stunde vor Beginn des Gottesdienstes kein Bissen! So lautete das Gebot der Kirche, und so wusste sie es noch von der eigenen Erstkommunion; so war es auch den Kindern im Kommunionunterricht eingeschärft worden.
Pia hatte also nicht nur einfach genascht, was mit ein paar Ohrfeigen abgegolten wäre – nein, viel schlimmer: Pia würde unwürdig zum Tisch des Herrn gehen, weil sie das Gebot der Mutter Kirche verletzt hatte! Denn es war, die Mutter schaute auf die Stubenuhr, keine halbe Stunde mehr bis zum Beginn des Festgottesdienstes.
Den Herrn Pfarrer fragen? Würde der Pia ausschließen?
Die gute Frau konnte sich die Schande ausmalen und schloss für ein paar Sekunden die Augen, hatte aber die unklare Vorstellung, dass der Herr Pfarrer einen Ausweg wissen müsste. Also zog die Bauersfrau die heulende Pia im weißen Kleid mit sich fort zum Pfarrhaus, wo der Herr Pfarrer sich gerade anschickte, in die Kirche hinüberzugehen.
Die Sache wurde berichtet und das von Schluchzen geschüttelte Kind vom Herrn Pfarrer gefragt, ob es sich denn nicht habe beherrschen können, schließlich habe der liebe Heiland auch gefastet, und da müsse doch ein schon so großes Mädchen ein so geringes Opfer bringen können.
Vom Kind wandte sich der geistliche Herr wieder zur Mutter. »Ich sehe keinen Weg«, sagte er und legte ihr voll Mitleid die Hand auf den Arm. »Denn da sind die Gebote der Heiligen Kirche, die den Gläubigen Trost und Segen spenden und die man nicht einfach übertreten darf.«
Die Mutter hatte immer noch Hoffnung im Blick. Die Hand auf ihrem Arm versprach doch eine gute Lösung. Ach Gott! Die Vorbereitungen, das Fest, die Familie, die Onkel, Tanten, Vettern, Basen, die Nachbarn, der Lehrer, die Mitschüler, das ganze Dorf! Die ganze Gegend! Von einer heißen Welle überwältigt nahm sie ihre Tochter in den Arm und drückte sie fest an sich: Das Äußerste würde nicht kommen, der hochwürdige Herr Pfarrer würde doch –
»Ich kann es Ihnen und Ihrem Kind nicht ersparen«, sagte der geistliche Herr mit traurigen Augen hinter der goldenen Brille im rosigen Gesicht, »leider. Ja, wenn Pia eine Stunde früher genascht hätte! Die Gebote der heiligen Mutter Kirche aber können wir nicht aufheben. Ich verstehe Sie ja«, fuhr er auf den jammervollen Blick der Mutter hin fort und in das Schluchzen des Kindes hinein, »ich würde Ihnen gerne helfen. Aber wer den Leib des Herrn unwürdig empfängt, isst und trinkt sich das Gericht. 1. Korinther 11, Vers 27–29.« Der Diener Gottes legte sogar die Hand auf die Schulter der wieder laut aufheulenden Pia in ihrem schönen neuen weißen Kommunionkleid.
Alles Betteln und Flehen der Mutter half nichts.
Der Herr Pfarrer sei, so beteuerte er, so unglücklich wie die Mutter mit ihrer kleinen Sünderin.
Und ich glaube ihm das. Heute wäre vieles anders in der katholischen Kirche, aber nicht alles.
Nach seiner Auffassung von Gebot und Gesetz, versicherte er, müsse er Pia von der Erstkommunion leider ausschließen. Und das tat er auch.
Anton Fendler berichtete mir von Familien in Tigerfeld, von denen ich wenig wusste. Ich hatte ihn darum gebeten. Die einzelnen Verwandtschaftsbeziehungen konnten besser gedeutet werden, wenn man zuvor die Lebensumstände kannte.
Dass der Mord an Fritz Pocherd mit der Windkraftanlage zu tun hatte, war nicht auszuschließen, ja sogar wahrscheinlich. Aber an dieser Frage konnte man noch lange nicht arbeiten.
Fritz Pocherd, Walter Bähr, Michel Groß, Tone Alt, Moritz Wenger, Matthias Raischle, Franz Fuchslocher und der Wirt Mazzuoli waren die Investoren aus Tigerfeld.
Fritz Pocherds Sohn Karl wurde zur Leichenfeier seines Vaters aus den USA, Kansas City, Missouri, erwartet. Aber die Leiche war noch nicht freigegeben. Karl war wohl in der EDV eines Betriebes tätig, der mit der Produktion von Automobilen zu tun hatte. Genaues wusste Anton nicht.
Walter Bähr hatte eine Hähnchenzucht am Ort und erhoffte sich wie Franz Fuchslocher wohl stetige Rendite, um seinen Betrieb entweder erweitern zu können oder ihn überhaupt am Leben zu erhalten.
Michel Groß war leitender Ingenieur in Reutlingen, hatte sich in Tigerfeld eines der großen, schönen, städtisch modernen Häuser gebaut und lebte hier mit Frau Verena und drei Kindern. Der Jüngste, Thomas, hatte Leukämie und war in einer Klinik in Tübingen. Es wurde verzweifelt nach
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