Albspargel
erklärt werden.« Lange Pause. »Ich würde gerne weiterplaudern mit Ihnen. Aber ich bin zu angegriffen, es tut mir so leid. Kommen Sie doch ein andermal wieder bei mir vorbei. Sie finden immer eine offene Türe und eine Tasse Kaffee bei mir.« Sie lächelte warm und legte mir damenhaft die Hand auf den Arm.
Diese Geste war ehrlich, das konnte ich fühlen – aber von dem Mord, das war ebenfalls deutlich, sollte besser nicht mehr die Rede sein.
»Gerne«, lächelte ich. »Und Ihre Nichte?«
»Franziska ist ein liebes Mädchen. Sie kennen sie ja. Aber wissen Sie, mit uns alten Leuten ist die Jugend immer gerne etwas streng.«
Da war es heraus. Sie hatte einen Maulkorb bekommen, die liebe Tante Helene, und sie war schlau, diese Tante – keine einzige verräterische Silbe würde sie sich entlocken lassen.
Nur eines, und da war sie selbst erschrocken: Es war etwas schiefgegangen. Aber anfangen konnte ich so noch nichts damit, doch ich würde nicht lockerlassen.
Als ich Frau Strauß nach einigen Tagen wieder aufsuchen wollte, war sie nicht da. Auch weitere Versuche blieben erfolglos. Ihre Telefonnummer hatte ich nicht. Jörg wollte ich nicht fragen. Da hätte ich gleich Franziska fragen können. Eine Nachbarin sagte, Frau Strauß sei verreist. Wann sie zurückkomme, wisse sie nicht. Nein, auch nicht, wohin sie gefahren sei. Frau Strauß verreise immer mal wieder zu irgendwelchen Verwandten.
»Wissen Sie, sie hält sich für etwas Besseres.«
Kooperieren mit den beiden Kommissaren? Die Zusammenarbeit ist ein besonders wirksames Instrument der Wissenschaft. Ja, Wissenschaft wird durch gemeinsames Vorgehen meist erst wirklich effektiv. Gut, das weiß jeder, und ich war Wissenschaftler genug, um die Notwendigkeit zu erkennen. Aber wie dem auch sei, mein Vertrauen zu beiden war gering! Vielleicht war es der Ehrgeiz des Forschers, den neuen Kontinent selbst zu entdecken. Vielleicht aber auch einfach ein Bedürfnis, meine Fürsorge für Amelie – als solche empfand ich meine Suche nach ihrem Mörder – nicht mit jemandem teilen zu müssen.
An einem Abend wurde Dr. Hagenbach von Franziska Fischer aufgesucht. Sie wollte mit ihm reden und brauchte mich nicht dazu.
Was ihn bedenklich stimmte, so erzählte er am anderen Tag, war die Tatsache, dass Frau Fischer ohne ihren Verlobten Jörg gekommen war.
»Wir sollten miteinander reden«, begann sie.
Die Sache war schon vor ihrem ersten Wort klar. Sie war sich ihrer Wirkung auf Dr. Hagenbach bewusst. Das Gespräch hatte bestimmt seinen Reiz gehabt. Ich konnte mir die Brillengläser meines Kollegen vorstellen. Sie wollte ihn nicht erpressen, sondern belohnen – so musste Dr. Hagenbach es wenigstens auffassen.
Aber womit? Untreue Jörg gegenüber? Dr. Hagenbach war intelligent genug zu wissen, dass Franziska niemals den ganzen Preis bezahlen würde. Das war ihre Auffassung von Bestechung. Mein Fall konnte ihm als Modell dienen. So wäre das Gespräch in der Gaststube der
Rose
, wohin er sie sogleich führte, unfruchtbar geblieben, wäre ihr nicht ein Satz entwischt, den sie entweder nicht bemerkte oder den sie – was wahrscheinlicher ist – absichtlich wie beiläufig einflocht.
»Zwei Morde in einer einzigen Familie.« Ihre Augen hatten einen bekümmerten Ausdruck. »Das ist schrecklich, das können Sie mir glauben.«
Das war des Rätsels Lösung. Die Tante musste etwas Ähnliches gesagt haben.
Franziska also schien, wenn man so wollte, das Bindeglied zwischen den beiden Morden zu sein. Oder besser, ihre Familie war dieses Bindeglied – zwei Morde in einer Familie! Wie die verwandtschaftliche Beziehung aussah und welche Konsequenzen daraus zu ziehen waren, darüber musste nachgedacht werden.
Es fiel mir auch ein, womit Tante Helene Franziska so sehr in die Quere gekommen war: Es war das Wort Freundschaft, das sie gebraucht hatte. Zwei Morde in einer Freundschaft! Oder so ähnlich. Sie redete kein Älblerisch, sonst wäre mir die Bedeutung des Wortes sogleich aufgefallen: Freundschaft bedeutet in Tigerfeld auch Verwandtschaft, vor allem wenn der Begriff von alten Menschen gebraucht wird.
Franziska hatte mich wütend stehen lassen. Jetzt setzte sie die verfrühte Information, die wir offenbar nicht begriffen hatten, als Köder ein.
Ich überredete Dr. Hagenbach zu einer Wanderung durch das Glastal nach Zwiefalten.
Eine Wanderung von drei Stunden, wenn man gut zu Fuß ist.
Wir kamen durch den St. Georgenhof, das Herrenhaus entworfen von Bonatz, dem Erbauer des
Weitere Kostenlose Bücher