Albtraum
täglich genau um 8.10 Uhr an ihrer Ecke. Richard sah auf seine Uhr und fluchte leise. „Ich muss los. Ich komme zu spät.“
„Ich auch.“ Sie standen auf, trugen ihr Geschirr zum Spülbecken, schnappten sich ihre Sachen und eilten zur Tür.
Draußen gab Richard ihr einen Kuss. „Du hast das Treffen mit Sam Petrie und seiner Frau nicht vergessen, oder?“
„Natürlich nicht. Dakota, sieben Uhr.“
„Richtig. Warum ziehst du nicht das rote Seidenkleid an? Ich mag das sehr.“
Sie lachte. „Das ist eine ziemlich aufreizende Wahl für einen Wochentag, Herr Anwalt.“
„Und Sam Petrie könnte einer der Hauptunterstützer meiner Wahl zum Distrikt-Staatsanwalt werden.“ Auf ihre schockierte Miene hin grinste er. „Ich mache nur Spaß. Du siehst doch in allem hübsch aus. Zieh an, was du magst.“ Er küsste sie noch einmal und trat auf die Terrasse hinaus. „Ich rufe dich später an.“
Sie sah ihm einen Moment nach, nahm Mantel und Tasche und ging ebenfalls.
10. KAPITEL
Einer der größten Pluspunkte ihres Cafés, das hatte Kate schon in den ersten Monaten als Besitzerin festgestellt, war die Lage. Es lag nur drei Blocks weiter als ihr Haus am Lakeshore Drive, und an den meisten Tagen konnte sie zu Fuß zur Arbeit gehen.
Vor langer Zeit war das Gebäude mal ein Gästehaus für die große Villa auf dem Nachbargrundstück gewesen. Beide Häuser waren lange vor dem Zeitalter der Klimaanlagen gebaut worden, als wohlhabende Einwohner von New Orleans vor der drückenden Sommerhitze der Stadt ans Nordufer des Lake Pontchartrain geflohen waren und dort ihre feudalen Häuser errichtet hatten.
Sie hatte das heruntergekommene Cottage gesehen und sich sofort darin verliebt. Trotz Richards Einspruch, es koste zu viel, es aus zubauen, und ein Lokal in irgendeinem Einkaufsviertel oder Einkaufscenter würde sowieso mehr Kunden anlocken, hatte sie es gekauft.
Sie hatte ihr Vorhaben durchgezogen, und wie vermutet, hatten die Gäste sie gefunden. Keines der anderen Cafés in der Gegend konnte einen Panorama blick über Lake Pontchartrain bieten, dazu jahrhundertealte hohe Eichen, in denen abends Silberreiher hockten, eine geschichtsträchtige Atmosphäre und den unbezweifelbaren Scharm der Südstaaten von einst.
Ihre Stammgäste waren nicht die Einkaufscenter-Typen. Auch nicht die Familien mit zwei Kindern, Minivan und Hund, die Mandeville zu bevölkern schienen. Nein, das „Uncommon Bean“ schien die ungewöhnlicheren Bewohner des Nordufers anzulocken: Künstler, Schriftsteller, Collegestudenten und Eigenbrötler, pensionierte Akademiker, Freidenker, Debattierfreudige und Einzelgänger.
Sogar ihre Angestellten waren Unikate, wie sie wieder einmal feststellte, als sie durch die Eingangstür des „Uncommon Bean“ kam und in einen der berühmten verbalen Schlagabtausche ihrer beiden Geschäftsführer Marilyn und Blake platzte. Sie schüttelte leicht den Kopf. Wer die beiden nicht kannte, musste annehmen, dass sie nicht nur miteinander stritten, sondern sich hassten wie die Pest.
Die zwei konnten tatsächlich keine größeren Gegensätze sein. Marilyn war eine blonde Wasserstoffbombe mit der Stimme von Minnie Mouse und dem IQ von Einstein. Mit fünfundzwanzig arbeitete sie bereits an ihrem vierten Collegediplom. Blake hingegen war mit seinen Achtundzwanzig immer noch im Anfangsstadium seiner Studien. Homosexuell und stolz darauf, war er ausgesprochen unverblümt, witzig und ein bisschen zu grell für das eher konservative Nordufer. Er lebte trotzdem hier, weil er, wie er sagte, die Bäume liebte.
Ihrehitzigen Diskussionenwaren legendär unterden Stammgästen. Einige schworen sogar, dass sie weniger wegen des Kaffees als vielmehr wegen des verbalen Feuerwerks kamen. Trotz allem wurden die beiden nie wirklich böse aufeinander und arbeiteten gut als Team zusammen.
„Süße“, sagte Blake gedehnt zu Marilyn, als Kate eintrat, „ich sage dir, in punkto Größe sind nicht alle Rassen gleich geschaffen.“
Marilyn schnaubte verächtlich. „Das ist nicht nur grob, du spielst mit Klischees und rassistischen Vorurteilen. Eine Zivilisation, die sich auf Stereotypien …“
„Entschuldige mal“, unterbrach Blake sie, stemmte die Fäuste auf die Hüften und sah sie mit zur Seite geneigtem Kopf an. „Was glaubst du, woher Klischees kommen?“
„Sie entstehen aus Hass und dem Wunsch zu unterdrücken.“ Marilyn wischte mit geröteten Wangen an einem Was serfleck auf dem Tresen. „Mein Gott, ich habe gedacht, als
Weitere Kostenlose Bücher