Albtraum
haben jedes Recht, aufgeregt zu sein. Aber ich muss Sie warnen, das Adoptionsverfahren kann genauso nervenaufreibend sein wie die Unfruchtbarkeitsbehandlungen. Zügeln Sie sich ein wenig. Ich weiß, wie schwer das ist“, fuhr sie fort, ehe Kate antworten konnte. „Das Warten ist die Hölle, aber versuchen Sie, die Ruhe zu bewahren.“
„Sie klingen schon wie mein Mann.“ Kate lachte leicht verlegen. „Er sagt immer, ich soll mich entspannen. Alles zu seiner Zeit.“
„Er ist ein kluger Mann.“
„Ich weiß. Es ist nur …“ Zu ihrem Leidwesen kamen ihrdie Tränen, und sie sprach mit gebrochener Stimme. „Wir haben so lange gewartet, Ellen.“ Ihr versagte die Stimme, und sie musste sich räuspern. „Tut mir Leid, Sie müssen mich für eine dämliche Heulsuse halten.“
„Im Gegenteil“, erwiderte Ellen leise. „Wer sich so heftig ein Kind wünscht wie Sie, wird eine sehr gute Mutter sein.“
Kate erlangte ihre Fassung wieder, dankbar für das Verständnis. „Danke.“
„Ich möchte Ihnen nur so viel sagen, Kate. Nach mehreren Gesprächen mit der werdenden Mutter bin ich überzeugt davon, dass sie das Kind zur Adoption freigeben wird. Ich spüre keinen Konflikt in ihr. Und sie ist an Ihnen und Richard interessiert. Sie besitzen viele Qualitäten, die ihr wichtig sind. Deshalb wollte ich Sie fragen, wann wir Ihr Fotoalbum bekommen können.“
„Ich habe es gestern Abend zusammengestellt und wollte es Ihnen in den nächsten Tagen vorbeibringen.“
„Je eher, desto besser.“
„Dann bringe ich es sofort. Wir sehen uns in einer Dreiviertelstunde.“
11. KAPITEL
Julianna saß auf dem Bett, ein Kissen in den Rücken gestopft, die Beine ausgestreckt und den Stapel Persönlichkeitsprofile von Citywide auf dem Schoß. Sie las die mit Maschine geschriebenen Worte des oben liegenden Profils, und ihr Blick verschwamm in Tränen.
Ich habe Kate vom Augenblick unserer ersten Begegnung an geliebt. Sie ist Partnerin, Geliebte, mein bester Freund. Ich kann mir ein Leben ohne sie nicht vorstellen.
Julianna holte schluchzend Atem und las die Worte noch einmal, eine tiefe Sehnsucht im Herzen. Das hatte sie sich immer gewünscht, heftig geliebt und gebraucht zu werden. Für jemand das Ein und Alles sein.
Verwirrt schloss sie die Augen. Sie hatte die Profile gar nicht lesen, sondern einfach irgendein Paar auswählen wollen. Schließlich wollte sie ihr Baby keinesfalls behalten, und Ellen hatte ihr versichert, dass alle Paare überprüft worden waren. Jedes wäre geeignet gewesen.
Dann hatte sie je doch, nur so zum Spaß, das erste Profil durchgeblättert. Dabei war ihr etwas aufgefallen. Das Paar schrieb im Ton einer gewissen Selbstgefällligkeit, als fühlten sie sich zu gut für das ganze Verfahren, für Julianna und für ihr Baby.
Sie fasste sofort eine Abneigung gegen diese Leute, legte die Akte beiseite und nahm eine andere. Das nächste Paar hatte einen netten Eindruck gemacht, aufrichtig und voller Sehnsucht, Eltern zu werden. Sie war Hausfrau, er Buchhalter.
Doch ihre Gedanken über Lebensart, Elternschaft und über ihre Hoffnungen für die Zukunft waren entsetzlich langweilig gewesen.
Auch diese Akte hatte sie beiseite gelegt.
Dann, am Samstag, war sie auf Kate und Richard gestoßen. Alles an ihnen gefiel ihr, ihre Lebensart, ihr Glaube, ihre Hoffnungen, Träume und Pläne für die Zukunft. Sie führten das Leben und die Beziehung, von der sie immer geträumt hatte.
Und heute, am Montag, nach mehrmaligem Durchlesen ihrer Profile, wurde ihr bewusst, dass sie mehr gefunden hatte als Adoptiveltern für ihr Baby. Sie hatte den Mann gefunden, auf den sie ein Leben lang gewartet hatte, der für sie bestimmt war.
Julianna holte wieder zittrig Atem und bemühte sich, ihre Fantasie zu zügeln, als sie die Worte erneut las, die sie nun schon fast auswendig kannte.
Wir lernten uns an der Universität kennen. Sie war strahlend, lebensfroh und klug. Ich sah sie an und sah die Zukunft in ihren Augen. Meine Zukunft.
Was hatte John gesehen, wenn er in ihre Augen schaute? Ein Kind, das Schutz brauchte? Ein Unschuldslamm, das er nach seinen Wünschen formen konnte? Julianna schluckte trocken. Was hatte irgendwer je in ihren Augen gesehen?
Bei der Antwort darauf liefen ihr Tränen über die Wangen. Ihre Mutter hatte sie wie ein teures Accessoire behandelt, wie einen Schal von Hermès oder eine Tasche von Gucci. Auch John hatte ihr nur einen kleinen Raum in seinem Leben zugemessen. Und obwohl er sie angeblich
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