Albtraum
leitete sie weiter an Blake, der die Espressomaschine bediente. Mit einem Seitenblick zu Kate fuhr sie fort: „Ich habe gestern Nacht einen Typen kennen gelernt. Ich glaube, ich bin verliebt.“
Nicht schon wieder! Tess, eine Kunststudentin der SoutheasternLouisiana University in Hammond, war hübsch, leb haft und klug, doch was Männer anging, ein absolutes Naivchen. Sie glaubte einfach alles, was man ihr erzählte, und verknallte sich in jeden Typen mit engen Jeans. Blake, der in punkto Sex nicht gerade als konservativ gelten konnte, behauptete, sie habe die Moral eines Straßenkaters. Kate war da anderer Ansicht, sie vermutete, dass Tess Männer und Sex zur Selbstbestätigung benutzte.
Aber ein solches Verhalten war eben nicht nur selbstzerstörerisch, sondern auch gefährlich, und Kate ließ keine Gelegenheit ungenutzt, Tess das vor Augen zu führen. Wenn sie doch nur einsehen würde, wie fabelhaft sie war, brauchte sie keinen Mann, um es zu bestätigen. „Ach, Tess!“ stöhnte Kate kopfschüttelnd.
„Ich weiß überhaupt nicht, warum immer alle so reagieren“, beschwerte die sich.
„Schätzchen“, begann Blake mit dem Rücken zu ihr und schäumte Milch für einen Cappuccino auf, „sieh dir doch mal deine Liste von Eroberungen an. Du verliebst dich täglich neu wie ein Karnickel.“
„Du hast es gerade nötig, Mr. Monogam.“
„Klar, aber ich rede auch nicht dauernd von Liebe.“
„Okay, Kinder“, wandte Kate leise ein und nutzte die kurze Pause im Andrang, um die Tabletts mit Pastetchen aufzufüllen. „Lasst uns nicht streiten.“
„Außerdem ist es diesmal anders. Er ist anders. Etwas Besonderes eben. Kultiviert.“ Sie sah Kate bittend an. „Du glaubst mir doch, oder?“
„Es ist nicht wichtig, was ich glaube, Tess.“ Sie zerknüllte ein leeres Gebäckkästchen und stopfte es in den Abfall. „Wichtig ist, was du glaubst.“
„Siehst du?“ Tess schnitt Blake ein Grimasse, der sich nur achselzuckend abwandte, um mit einem Stammgast zu plaudern. Sie lehnte sich verträumt gegen den Tresen. „Manchmal sieht man jemand und weiß es einfach.“
„Was weiß man, Tess?“
„Dass er etwas Besonderes ist, eben anders. Dass er der Richtige für dich ist.“
Unwillkürlich musste Kate an ihre erste Begegnung mit Luke denken. Er hatte vor dem Büro für Studentendarlehen gestanden, trotzig, stolz und doch verletzlich.
Kate schüttelte den Kopf, einerseits, um Tess zu widersprechen, andererseits, um die Erinnerung loszuwerden. „Aber kann dieser erste Eindruck nicht auch bedeuten, dass man Freundschaft für jemand empfindet? Nur weil du dich von jemand angezogen fühlst, oder er dich zum Lachen bringt oder was auch immer, heißt das noch nicht, du musst dich in ihn verlieben oder gar intim mit ihm werden.“
Denn manchmal ist es der Anfang vom Ende, wenn du es trotzdem tust.
„So funktioniert das nicht.“ Tess runzelte nachdenklich die Stirn. „Ich weiß nur, was ich fühle. Es ist …“ Sie zögerte, um ihre Gedanken zu ordnen. „Es ist, als ob ich verrückt würde, wenn ich ihn nicht haben kann. Und dann tue ich alles, um ihn zu bekommen.“
„Alles?“ fragte Kate skeptisch. „Auch zum Beispiel lügen, betrügen oder jemand anders verletzen? Auch deine Selbstachtung aufgeben?“
„Ja, ich glaube schon“, erwiderte Tess mit roten Wangen.
Kate war entsetzt. Mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. „Das kann nicht dein Ernst sein, Tess. Und falls doch, findest du nicht, dass du dann ein Problem hast?“
„Ein Problem?“ wiederholte sie verständnislos. „Warum sollte ich?“
„Tess, du hast gerade gesagt, dass du lügen und dir selbst und anderen schaden würdest, um mit einem Mann zusammen sein zu können? Nach meiner Lesart ist das krank. Du hast ein Problem.“
„Du verstehst nicht. Ich tue das doch nur, weil das Gefühl so stark ist. Das ist Liebe, ich weiß es.“
„Woher?“ fragte Kate herausfordernd. „Du hast dich innerlich im letzten Jahr ein Dutzend Mal verliebt. Und es hast nie lange gedauert. Wenn es wirklich Liebe gewesen wäre, hätte es Bestand gehabt.“
Blake beendete den Plausch mit dem Gast und kehrte zu ihnen zurück. Er nickte. „Ich war ein paar Mal so verliebt, wie Tess es beschreibt.“
„Wirklich?“ Sie wandte sich ihm zu. „Was ist passiert?“
Er schwieg einen Moment. „Sagen wir, ich möchte so etwas nie wieder erleben.“ Kate wollte etwas Tröstliches zu ihm sagen, doch er schüttelte abwehrend den Kopf. „Ich
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