Albtraum
Abend stolz verkünden zu können, dass der Bruch in ihrer Freundschaft zu Luke gekittet war. Jetzt kam sie sich dumm und naiv vor. Manche Dinge ließen sich eben nicht ändern, sie wurden durch zeitlichen Abstand und gute Absichten nicht besser. Genau wie manche Wunden nicht heilten, sondern stetig eiterten.
Emma wimmerte und kuschelte sich behaglich an ihre Schulter. Es war ein langer Tag für uns beide, dachte Kate und legte die Kleine ins Kinderbett. Vorsichtig zog sie das Schutzgitter hoch, doch Emma regte sich nicht.
Kate atmete tief durch und betrachtete das hübsche friedliche Gesicht ihrer schlafenden Tochter. Es stimmte nicht, was Luke über Richards Motiv, sie zu heiraten, gesagt hatte. Sie waren seit zehn Jahren ein glückliches Ehepaar. Ihre Ehe basierte auf Liebe, nicht auf irgendeinem jugendlichen Konkurrenzdenken. Richard nahm sein Ehegelöbnis ernst, genau wie sie.
Kate wandte sich vom Bett ab und räumte das Kinderzimmerauf. Sie hatte das Haus heute Morgen so eilig verlassen, dass die Spielsachen noch herumlagen. Sie sammelte Rassel und Plüschtiere ein und trug sie zum Korb neben ihrem Schaukelstuhl. Ihre Gedanken wanderten zu dem Gespräch mit Luke zurück. Sie fragte sich, ob sie sich bei der Partnerwahl wirklich von anderen Motiven hatte leiten lassen als Liebe? Von Gier etwa, wie Luke angedeutet hatte?
Luke hielt sie offenbar für eine Mitgiftjägerin. Er glaubte, sie habe Richard wegen des Geldes und seines gesellschaftlichen Status’ geheiratet.
Mit Tränen in den Augen erinnerte sie sich an jene aufregende, tumulthafte Zeit des Kennenlernens. Sie versuchte, sich genau an ihre damaligen Gefühle zu erinnern, um sie ehrlich zu analysieren.
Sie hatte Richard vom Augenblick ihrer ersten Begegnung an geliebt. Sicher, er hatte sich manchmal schlecht benommen. Er war jung gewesen und sehr von sich überzeugt. Und er war es gewöhnt gewesen, seinen Kopf durchzusetzen. Ja, und er hatte ihr mehr als einmal das Herz gebrochen.
Doch trotz all seiner Fehler hatte sie sich gewünscht, ihn zu heiraten, und gehofft, er würde ihr einen Antrag machen. Mit ihm auszugehen war aufregend gewesen. Die meiste Zeit gab er sich scharmant und aufmerksam, lustig und großzügig. Er hatte ihr das Gefühl gegeben, etwas Besonderes, etwas Behütenswertes zu sein.
Hatten sein Geld und seine bedeutende Familie ihre Gefühle für ihn beeinflusst? Auch. Wie könnte es anders sein? Denn beides gehörte zu Richard. Was aber nicht bedeutete, dass sie den Menschen Richard nicht geliebt hätte. Vor allem bedeutete es nicht, dass sie eine Mitgiftjägerin war.
Kate ging zur Kommode und rückte einigen Deko-Krimskramsund die gerahmten Fotos zurecht. Stirnrunzelnd merkte sie, dass ihr Lieblingsfoto fehlte. Das, auf dem Richard Emma an ihrem ersten Tag zu Hause auf dem Arm hielt.
Sie sah auf dem Boden und hinter der Kommode nach. Als sie es auch an anderen Plätzen nicht fand, blieb sie verwundert mitten im Raum stehen. Es musste da sein. Sie hatte es sich noch heute Morgen angesehen, nachdem Richard zum Golf gegangen war.
Sie legte eine Hand an den Kopf und versuchte sich zu erinnern. Sie war mit Emma hier drin gewesen und hatte auf der Steppdecke mit ihr gespielt. Richard war hereingekommen, sich zu verabschieden. Sie war aufgestanden und hatte ihm einen Kuss gegeben. Dann war sie zu Emma zurückgekehrt. Ihr Blick war auf das Foto gefallen, und sie hatte gelächelt.
Also, wo war das Foto jetzt?
Auf dem Flur draußen vor dem Kinderzimmer knarrte leise eine Bodendiele. Erschrocken legte Kate eine Hand an die Kehle. Bilder von den Kopfkissen mit den Eindrücken jagten ihr durch den Kopf und vom Wäschebügel, der unter dem Bett hervorlugte.
Langsam wandte sie sich der Tür zu, ging zitternd hin und blickte in den Flur. Leer.
„Richard?“ rief sie. „Bist du das?“
Schweigen. Sie hielt den Atem an und lauschte auf Geräusche, ein leises Rascheln oder Knarren. Zugleich schalt sie sich eine alberne Gans. Alte Häuser machten nun mal Geräusche, sie stöhnten und seufzten.
Fotos verschwanden allerdings nicht von selbst. Und Bügel legten sich nicht selbstständig unters Bett.
Ich bin nicht allein!
Mit heftig pochendem Herzen nahm sie vorsichtig ihreTochter aus dem Bett, um sie nicht zu wecken. Emma wimmerte und stöhnte ein wenig, kuschelte sich dann aber schlafend an Kates Schulter.
Kate trug sie leise aus dem Zimmer zur Eingangshalle. Auto-Babyliege und Windeltasche standen noch im Flur. Vorsichtig legte sie Emma
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