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Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Alcatraz und die dunkle Bibliothek

Titel: Alcatraz und die dunkle Bibliothek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brandon Sanderson
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erfüllen ist absolut verwerflich«, erklärte Bastille. »Dazu muss der Okulator einen Teil seiner eigenen Menschlichkeit aufgeben und in Belebungsglas fixieren. Daraus werden dann diese Augen gemacht. Erschieß es, Sing. Wenn du es ins Auge triffst, kannst du es vielleicht töten.«
    Das kleine Papierwesen legte den Kopf schief und starrte fragend auf die Pistole, die direkt vor seinem Gesicht schwebte.
    Ich drehte mich zu Bastille um. »Einen Teil seiner Menschlichkeit aufgeben? Was bedeutet das?«
    »Sie lassen zu, dass das Glas ihnen alles Mögliche entzieht«, meinte Bastille.
    »Alles Mögliche? Geht es vielleicht noch ein bisschen genauer?«
    Da sie jetzt neben mir stand, konnte ich sehen, wie Bastille hinter ihrer Sonnenbrille die Augen zusammenkniff und das kleine Wesen misstrauisch anstarrte.
    »Menschliche Eigenschaften, Alcatraz. Wie die Fähigkeit zu lieben, für andere einzustehen oder Mitleid zu empfinden. Jedes Mal, wenn ein Okulator einen Belebten erschafft, macht er sich selbst damit ein wenig unmenschlicher. Oder zumindest ein wenig mehr zu der Art Mensch, mit der der Rest von uns nichts zu tun haben will.«
    Sing nickte zustimmend. »Die meisten Dunklen Okulatoren sind der Ansicht, diese Wandlung sei ein Vorteil für sie.« Mit der freien Hand griff er nach unten, ohne dabei die Waffe von dem kleinen Belebten abzuwenden. Er hielt ein zerrissenes Stück Papier hoch.
    »Man sollte meinen, dass der Dunkle Okulator dadurch, dass er einen Teil seiner Menschlichkeit aufgibt, ein Wesen erschafft, das voll positiver Eigenschaften und Gefühle ist«, erklärte der Anthropologe. »Aber so funktioniert das Ganze nicht. Der Prozess verdreht die Gefühle und schafft so ein Wesen, das genug Menschlichkeit in sich trägt, um zu leben, aber nicht genug, um wirklich human zu sein.«
    Ich nahm ihm den Papierfetzen ab. Der Text ließ sich noch entziffern, es schien Prosa zu sein. Der Titel in der rechten oberen Ecke lautete Das leidenschaftliche Feuer feuriger Leidenschaft.
    »Man kann aus praktisch allem einen Belebten erschaffen«, fuhr Sing fort. »Aber Inhalte, die Emotionen aufsaugen, eignen sich am besten dafür. Deshalb bevorzugen die meisten Dunklen Okulatoren schlechte Liebesromane, da das Objekt, das zur Herstellung benutzt wird, das Temperament des Belebten beeinflusst.«
    »Belebte, die aus Liebesromanen erschaffen wurden, sind extrem gewalttätig«, fügte Bastille hinzu, »aber eher schlecht ausgestattet, wenn es um Intelligenz geht.«
    »Wen wundert’s«, sagte ich und ließ den Papierfetzen fallen. Sie geben ihre Menschlichkeit auf … Und in diesem Augenblick befand sich mein Großvater in der Gewalt eines solchen Monsters. Ich stand auf. »Gehen wir. Wir haben schon zu viel Zeit verschwendet.«
    »Und was ist mit diesem Ding hier?«, wollte Sing wissen.
    Ich zögerte. Der Belebte sah zu mir hoch und schaffte es dabei irgendwie, seinem Papiergesicht einen Ausdruck von Verwirrung zu verleihen.
    Ich habe ihn … beschädigt, irgendwie. Ich dachte, ich hätte ihn getötet – aber so funktioniert mein Talent nicht. Ich zerstöre nicht, zumindest nicht, wenn mein Talent so wirkt, wie es sollte. Ich beschädige und verändere, mehr nicht. »Lasst es einfach hier«, beschloss ich.
    Sing sah mich überrascht an.
    »Wir können es uns nicht leisten, hier noch mehr rumzuballern«, erklärte ich. »Gehen wir.«
    Sing richtete sich auf und zuckte mit den Schultern, während Bastille bereits den Korridor hinunterging und die nächste Abzweigung überprüfte. Ich vertauschte schnell meine Okulatorenlinsen mit den Fährtenspürlinsen – zum Glück glühten Grandpas Fußspuren immer noch deutlich sichtbar.
    Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn so gut kenne, grübelte ich.
    Ich schloss zu Bastille auf, die an der Abzweigung auf uns wartete, und deutete in den Korridor, der nach rechts führte. »Grandpa Smedry ist dort entlanggelaufen.«
    »Genau wie die Bibliothekare, nachdem sie uns entdeckt hatten«, stellte Bastille fest.
    Ich nickte kurz und sah dann in die entgegengesetzte Richtung. »Da drüben kann ich Ms. Fletchers Spuren erkennen.« Ich deutete darauf.
    »Sie hat sich von den anderen getrennt?«
    »Nein, sie ist gar nicht mit Grandpa Smedry zusammen aus dem Kerker gekommen. Diese Fußspuren da drüben sind die, denen wir ursprünglich gefolgt sind – die uns zu dem Ort gebracht haben, wo sie uns gefangen genommen haben. Ich habe dir doch gesagt, dass wir ganz in der Nähe unseres Ausgangspunktes

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