Alcatraz und die Ritter von Crystallia: Band 3 (German Edition)
erschießen. (Oder mich zumindest wegen meiner überfälligen Bücher ausschimpfen und ohrfeigen.)
»Sehr erfreut«, sagte sie und nahm meine Hand, ohne auch nur zu versuchen, mich zu erstechen. »Ich habe gehört, dass du wie ich in Amerika aufgewachsen bist.«
Ich nickte. Sie hatte einen Bostoner Akzent. Ich hatte die Vereinigten Staaten erst vor ein paar Wochen verlassen, und ich hatte es kaum erwarten können, wegzukommen. Trotzdem tat es gut, jemanden aus meiner Heimat reden zu hören.
»Du, äh, bist also eine Bibliothekarin?«, fragte ich.
»Eine kurierte Bibliothekarin«, sagte sie schnell.
»Himalaya ist vor sechs Monaten übergelaufen«, sagte Folsom. »Sie hat uns eine Menge wichtiger Informationen geliefert.«
Aha, schon vor sechs Monaten, dachte ich und sah Folsom an. Er wirkte nicht misstrauisch, aber ich fand es seltsam, dass er Himalaya nach sechs Monaten immer noch im Auge behielt. Vermutlich wollten er und der König sichergehen, dass sie nicht doch insgeheim für die Bibliothekare spionierte.
Die Sitzgruppen um uns herum füllten sich schnell. Meine Anwesenheit in dem Lokal belebte das Geschäft. Das merkte der Wirt wohl auch, denn er kam bald an unseren Tisch. »Der berühmte Alcatraz Smedry in meinem bescheidenen Haus!«, rief er aus. Der dickliche Mann trug rot-weiß gestreifte Hosen. Er winkte einer Kellnerin, die sofort mit einer Schüssel Schlagsahne herüberkam. »Bitte lassen Sie sich auf Kosten des Hauses einen Bandana-Split schmecken!«
Ich neigte fragend den Kopf. »Bandana?«
»Die bringen hier manches durcheinander«, flüsterte Himalaya. »Aber was sie servieren, kommt amerikanischem Essen näher als alles, was man sonst so in Nalhalla bekommt.«
Ich nickte dem Wirt dankbar zu. Er lächelte zufrieden und ließ eine Handvoll Pfefferminzbonbons auf dem Tisch zurück– ich wusste nicht so recht warum. Dann ging er andere Gäste bedienen. Ich blickte auf das Dessert, das er mir gebracht hatte. Es war tatsächlich ein großes Bandana-Tuch, das mit Eiscreme gefüllt war. Ich kostete sie vorsichtig, aber sie schmeckte irgendwie gut, auch wenn ich nicht sagen konnte, wonach.
Das hätte mich wahrscheinlich beunruhigen sollen.
»Alcatraz Smedry«, sagte Folsom, als würde er testen, wie sich der Name anhörte. »Ich muss zugeben, dass dein letztes Buch eine Enttäuschung war. Anderthalb Sterne von fünf.«
Ich bekam kurz Panik, weil ich dachte, dass er den zweiten Band meiner Autobiografie meinte. Doch ich erkannte schnell, wie idiotisch dieser Gedanke war, denn das Buch war ja noch gar nicht geschrieben. Ich wusste damals noch nicht einmal, dass ich es schreiben würde. Deshalb beendete ich diese Überlegungen sofort, bevor ich womöglich eine Zeitverwerfung verursachte und am Ende etwas Dummes tat, wie einen Schmetterling töten oder den ersten Zeitsprung der Menschheit vermasseln.
»Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, sagte ich und aß noch einen Happen Eis.
»Oh, ich habe das Buch hier irgendwo«, sagte Folsom und kramte in seiner Schultertasche.
»Ich fand es gar nicht so schlecht«, sagte Himalaya. »Aber natürlich haben zehn Jahre als Bibliothekarin meinen Geschmack verdorben.«
»Zehn Jahre?«, fragte ich. Sie wirkte auf mich nicht viel älter als fünfundzwanzig.
»Ich habe früh angefangen«, erklärte sie und spielte, ohne hinzuschauen, mit den Pfefferminzbonbons auf dem Tisch. »Ich bin bei einem Meisterbibliothekar in die Lehre gegangen, nachdem ich bewiesen hatte, dass ich in der Lage war, das umgekehrte Leuchtturmsystem zu benutzen.«
»Was für ein System?«
»Dabei muss man eine Gruppe von Büchern alphabetisch ordnen, und zwar ausgehend vom dritten Buchstaben des Mädchennamens der Mutter des Autors. Aber egal, nachdem ich die Aufnahmeprüfung bestanden hatte, verwöhnten mich die Bibliothekare erst einmal mit Büchern für fortgeschrittene Leser und gelegentlichen Bagels im Pausenraum. Und als ich achtzehn war, führten sie mich offiziell in die Sekte ein.«
Sie fröstelte, als würde sie sich an die Schrecken jener Anfangszeit erinnern. Doch ich kaufte ihr das nicht ab. So nett sie auch war, ich traute ihr immer noch nicht.
»Ah«, sagte Folsom und zog etwas aus seiner Tasche. »Da ist es.« Er legte ein Buch auf den Tisch– wie es schien, war auf dem Einband ein Gemälde von mir, auf dem ich mit einem Sombrero auf dem Kopf einen riesigen Staubsauger ritt. In der einen Hand hielt ich ein Steinschlossgewehr und in der anderen etwas, was wie
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