Alcatraz und die Ritter von Crystallia: Band 3 (German Edition)
entschwindende Droschke. »Folgen Sie diesem Wagen!«, rief ich theatralisch.
Und das tat der Kutscher. Ich weiß nicht, ob ihr schon einmal in einer Droschke gesessen seid, aber diese Pferdewagen fahren kaum schneller als drei Kilometer pro Stunde– jedenfalls im Nachmittagsverkehr. Nach meinem recht dramatischen und (wie ich finde) heroischen Befehl nahmen die Dinge einen recht langsamen Verlauf. Der Kutscher lenkte die Pferde auf eine Straße hinaus und ließ sie hinter Shastas Wagen hertrappeln. Das Ganze hatte mehr von einer abendlichen Spazierfahrt als von einer heißen Verfolgungsjagd.
Ich setzte mich hin. »Nicht besonders aufregend, was?«
»Ich gebe zu, dass ich mehr erwartet hatte«, sagte Folsom.
Im selben Augenblick kamen wir an einem Musiker vorbei, der am Straßenrand Laute spielte. Himalaya griff nach Folsom, aber es war zu spät. Mein Cousin stand blitzschnell auf, sprang auf die Rückbank der Droschke und begann professionelle Kung-Fu-Bewegungen zu machen.
»Huch!«, rief ich und warf mich zu Boden, als ein Karateschlag meinen Kopf nur knapp verfehlte. »Was machst du denn da, Folsom?«
»Das ist sein Talent«, sagte Himalaya und ging neben mir in Deckung. »Er ist ein schlechter Tänzer! Sobald er Musik hört, wird er so. Es…«
Wir ließen den Straßenmusiker hinter uns und Folsom erstarrte mitten in der Bewegung. Sein Fuß war nur Zentimeter von meinem Kopf entfernt. »Oh«, sagte er. »Das tut mir furchtbar leid, Alcatraz. Mein Talent kann manchmal ein bisschen problematisch sein.«
»Ein bisschen problematisch« war stark untertrieben. Einmal war Folsom in einen Ballsaal spaziert, in dem ein Tanzwettbewerb stattfand. Er hat es nicht nur geschafft, jede einzelne Person im Raum zu Fall zu bringen, sondern am Ende auch noch einen der Schiedsrichter in eine Tuba gesteckt. Falls ihr euch das fragt: Ja, deshalb hatte Himalaya ihm Watte in die Ohren gestopft, bevor sie ihn in den Ballsaal ließ. Und deshalb hatte Folsom den Kristallchip mit der Erkennungsmelodie aus seinem Exemplar von Alcatraz Smedry und der Schraubenschlüssel des Mechanikers entfernt.
»Alcatraz!«, rief Himalaya, als wir uns gerade wieder hinsetzten, und deutete auf die Straße.
Ich fuhr herum und sah, dass die Droschke meiner Mutter an einer Kreuzung gehalten hatte und dass unsere Droschke direkt neben sie fuhr. »Mann, was machen Sie denn?«, fuhr ich den Kutscher an.
Er drehte sich verwirrt um. »Ich folge diesem Wagen, wie befohlen.«
»Ja, aber die sollen nicht merken, dass wir ihnen folgen!«, klärte ich ihn auf. »Haben Sie noch nie Agentenfilme gesehen?«
»Was für Filme? Und was sind denn Agenten?«, fragte der Kutscher.
Ich hatte jetzt keine Zeit, ihm das zu erklären. Ich gab Himalaya und Folsom ein Handzeichen, dass sie in Deckung gehen sollten. Doch am Boden war einfach nicht genug Platz. Einer von uns würde sitzen bleiben müssen. Wen würde meine Mutter erkennen? Folsom, einen berühmten Smedry, oder Himalaya, eine abtrünnige Bibliothekarin? Wir waren alle verdächtig.
»Ihr beide habt doch magische Kräfte«, zischte Himalaya. »Könnt ihr damit nicht irgendetwas tun, um uns zu verbergen?«
»Ich könnte ihr Pferd verprügeln, wenn wir Musik hätten«, sagte Folsom nachdenklich.
Himalaya sah mich besorgt an. Erst in diesem Augenblick fiel mir wieder ein, dass ich ein Okulator war.
Ein Herr der Linsen. Ich hatte verschiedene magische Linsen, darunter auch die, die mein Großvater mir vor Kurzem gegeben hatte. Mit einem Fluch zog ich die lila getönte Brille heraus, die er Tarnlinsen genannt hatte. Er hatte gesagt, ich sollte fest an eine Person oder Sache denken und sie mir bildlich vorstellen. Dann würde ich so aussehen wie sie. Ich setzte die Brille auf und konzentrierte mich.
Himalaya schrie auf. »Du siehst ja aus wie ein alter Mann!«
»Lord Smedry?«, fragte Folsom verwirrt.
Das war nicht das Richtige. Shasta würde Grandpa Smedry garantiert erkennen. Ich warf mich auf den Sitz und dachte an jemand anderen. An Mr. Mann, meinen Lehrer aus der sechsten Klasse. In letzter Minute dachte ich noch daran, ihn mir in einer Tunika vorzustellen, als wäre er aus den Freien Königreichen. Dann blickte ich zu meiner Mutter hinüber, die in der Droschke neben uns saß.
Sie sah mich an. Mir klopfte das Herz bis zum Hals. (Das tun Herzen öfter. Sofern man kein Zombie ist. Mehr dazu später.)
Meine Mutter musterte mich kurz ohne ein Zeichen des Erkennens. Ich stieß einen Seufzer der
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