Alchemie der Unsterblichkeit
hatten.
»Leistungen? Er ist ein widerwärtiger Mörder, der uns nichts als Scherereien bereitet.«
Der Fürst antwortete in einem Tonfall, den er für ein kleines Kind verwenden würde. »Und doch ist er von hoher Intelligenz. Wären seine Energien nicht so fehlgeleitet, könnte er es weit bringen.«
Icherios ignorierte den Streit der Männer. Er würde morgen, wenn niemand in der Nähe war, wiederkommen, um den Leichnam zu sezieren. Er mochte sich nicht die Reaktion des Pfarrers auszumalen, wenn er den Leib der Toten öffnete. Selbst in Karlsruhe, wo es üblich war, Leichen zu obduzieren, war der Widerstand der Kirche groß.
Der Pflock in der Mitte des Körpers hatte die Frau nicht getötet. Dazu war er nicht tief genug eingedrungen. Die Schnitte an den Schenkeln waren mit erschreckender Brutalität ausgeführt worden und hatten die Oberschenkelarterie durchtrennt. Mit Hilfe eines Blutverdünners musste sie in kürzester Zeit verblutet sein. Zumindest ein Mensch wäre es. »Können Vampire verbluten?«
»Nicht im herkömmlichen Sinn. Wir verlieren das Bewusstsein, aber einige Tropfen Blut vermögen uns wiederzuerwecken.« Sohon beobachtete Icherios, als er ihm so zu verstehen gab, dass auch er ein Vampir war.
Der junge Gelehrte ließ sich seine Zweifel nicht anmerken. »Dann könnten wir sie wiederbeleben?«
»Nein, das Abtrennen des Kopfes ist auch bei einem Vampir endgültig.«
Icherios drehte den Schädel in seinen Händen. »Wie betrüblich.« Sorgfältig legte er den Kopf zur Seite. Eine Vertiefung in der Brust der Toten erregte seine Aufmerksamkeit. Mit dem Leichentuch wischte er das geronnene Blut weg. Unter dem Schlüsselbein hatte der Mörder ein Zeichen in die Brust geschnitten. Ein nach oben gerichtetes Dreieck, dessen Mitte ein waagerechter Balken kreuzte. »Das Zeichen für Luft.«
»Was sagten Sie?«
Icherios deutete auf die Leiche. Der Bürgermeister watschelte sofort herbei und drängte den jungen Inspektor zur Seite.
»Auf ihrer Brust ist das alchemistische Zeichen für Luft eingeritzt.«
Sohon runzelte nachdenklich die Stirn. »Ob die anderen ebenfalls ein Zeichen trugen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber ich hoffe, Sie erkennen nun, warum es wichtig ist, dass ich die Leichen untersuche.«
»Warum markiert er seine Opfer?«, verlangte Kolchin zu wissen.
Icherios entsann sich, dass der Flurhüter an der Besprechung nicht teilgenommen hatte. »Ich vermute, dass er seine Verbrechen den sieben Elementen weiht. Genaueres weiß ich erst nach weiteren Ermittlungen.«
Der Fürst nickte zustimmend. Während der Bürgermeister weiterhin auf das Mal starrte, wandte Icherios sich erneut dem Schädel zu. Den Mund zu öffnen erwies sich als schwierig. Ohne den Körper hatte der Kopf keinen Halt, und die eintretende Leichenstarre erschwerte die Aufgabe zusätzlich. Die Männer erstarrten, als Icherios der Kopf beinahe aus den Fingern glitt. Der Anblick, der sich dem jungen Gelehrten dann bot, ließ ihn sein Ungeschick sofort vergessen. Hinter den Eckzähnen verborgen, befand sich ein weiteres Paar Zähne. Sie waren lang und messerscharf. Nach all dem Gerede über Vampire und Werwölfe war Icherios selbst überrascht von dem Ausmaß der Erschütterung, die ihn erfasste. Verzweifelt suchte sein Verstand nach anderen Erklärungen, aber er endete immer wieder bei der Tatsache, dass vor ihm die Leiche eines Vampirs lag. Er musste raus hier. »Für heute habe ich genug gesehen. Ich werde meine Untersuchungen morgen fortsetzen.« Zitternd sammelte er seine Notizen ein.
Der Rückweg erwies sich als ebenso beschwerlich wie der Hinweg. Nebelschwaden zogen durch die Nacht und hatten die Treppe feucht und glitschig gemacht.
Verstärkt durch die Wärme im Haus des Bürgermeisters übermannte Icherios sofort die Müdigkeit. Die Reise und die Ereignisse der Nacht forderten ihren Preis. Dankbar ließ er sich von Kindel in seine Räumlichkeiten führen. Arken war erbost gewesen, als er seinen Gehilfen in ein Buch vertieft vorgefunden hatte. Icherios fühlte eine Verbundenheit mit dem jungen Mann. Nur zu oft hatte sein eigener Vater ihn tobend von seinen geliebten Büchern weggezerrt. Schweigend gingen sie die Treppe hinauf, dann einen langen schmalen Flur entlang, bis sie vor einer hohen Tür stehen blieben.
»Hier ist Ihr Zimmer. Ihr Gepäck wurde bereits nach oben gebracht. Die Köchin Maren kommt früh am Morgen, sollten Sie ein zeitiges Frühstück wünschen.« Kindel zog seine Augenbrauen
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