Alchemie der Unsterblichkeit
Küche. Der warme Duft von frischem Brot und heißem Tee führten ihn in den hinteren Teil des Gebäudes. Während der Rest des Hauses schlief, werkelte die Köchin in ihrem Reich. Wäre der Geruch ihrer Speisen nicht so köstlich, hätte Icherios an ihren Kochkünsten gezweifelt. Knochig traten die Gelenke an ihren Fingern hervor. Das Gesicht ausgemergelt und die Arme so dürr, dass es an ein Wunder grenzte, dass sie ihre Rührschüssel halten konnte. »Gott zum Gruß, gute Frau. Darf ich um ein Frühstück bitten?«
Maren blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Sie erinnerte ihn an eine Hündin, die Fremde in der Nähe ihrer Welpen misstrauisch beäugte. »Ihr müsst mir schon sagen, wer Ihr seid, bevor ich Euch durchfüttere und mir der Bürgermeister wohlmöglich Ärger macht.« Freundlichkeit war offenbar keine Tugend in diesem verlassenen Winkel des Reiches.
Icherios beschloss, sich nicht beirren zu lassen. »Verzeiht, ich bin Icherios Ceihn, Inspektor und Gast im Haus des Bürgermeisters.«
Die Köchin schien besänftigt, warf ihm aber noch einen zweifelnden Blick zu. »So, so, ein Inspektor … Na, dann setzen Sie sich mal an den Tisch. Mehr als Brot, Tee und Waffeln gibt es zu dieser Stunde aber nicht.« Ein verächtliches Schnauben drang aus ihrer Kehle. »Die Herrschaften stehen erst auf, wenn rechtschaffene Menschen ihr Tagewerk fast vollbracht haben.«
»Dann sind Sie ein Mensch?«
»Na was dachten Sie denn? Sehe ich aus wie einer von diesem Lumpenpack?«
Hastig schob sich Icherios ein Stück Waffel in den Mund. Er brauchte dringend Zeit, um sich eine vernünftige Antwort einfallen zu lassen. Langsam kauend stellte sich dennoch keine sinnvolle Erwiderung ein. »Woran erkennt man dann einen Vampir oder Werwolf?«
»Wer ist denn hier der Inspektor? Wenn Sie nicht mal das wissen, wozu sind Sie dann gut?«
Icherios beschloss, seine Mahlzeit schnell und schweigend zu beenden. Er war froh, dass Maleficium sich so brav benahm. Die Begegnung zwischen Maren und der Ratte nähme sicher kein gutes Ende für das Tier.
Nach dem Mahl entschied der junge Gelehrte, die Gunst der Stunde zu nutzen und die Obduktion an Merelle Sgund vorzunehmen, solange die anderen noch schliefen. Höflich verabschiedete er sich von der Köchin, die nur ein abfälliges Schnauben für ihn erübrigte. In seinem Zimmer versicherte er sich, dass in dem alten Arztkoffer, den er für seine Zwecke entfremdet hatte, alle notwendigen Dinge vorhanden waren und ging hinaus auf die Straße. Bei Tageslicht wirkte Dornfelde wie jedes verschlafene Dörfchen, nur dass die Menschen im Gegensatz zum Rest des Reiches wohlgenährt und gesund schienen. Handelte es sich überhaupt um Menschen? Trotz des sonnigen Herbstwetters lief Icherios ein Schauer den Rücken hinunter. Mit gesenktem Kopf, jeden Blickkontakt meidend, folgte er dem Weg, der zur Feste führte. »Inspektor! Bitte warten Sie!«
Icherios erwog weiterzugehen, bis er zu seiner Erleichterung Kolchins Stimme erkannte und stehen blieb. Der junge Mann rannte, die Arme unbeholfen in der Luft wedelnd, auf ihn zu. Bei Tage konnte Icherios die Sommersprossen auf seinem offenen, arglosen Gesicht erkennen. »Verzeiht die rüde Anrede. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen.«
»Ihnen ebenfalls, aber nennen Sie mich Icherios.«
»Sind Sie auf dem Weg zum Schloss?«
Icherios nickte.
»Darf ich Sie begleiten?«
Der Flurhüter schien für Icherios’ Arbeitsweise empfänglich zu sein. Es wäre gut, einen Verbündeten zu haben, deshalb willigte er dankbar ein. Zudem hatte er unzählige Fragen, die einer Antwort harrten. Sie folgten dem Lehmweg schweigend, bis sie auf die gepflasterte Hauptstraße kamen, an deren Ende der Anstieg zur Burg wartete. Icherios seufzte erleichtert, als Kolchin das Wort ergriff. »Ich bin so froh, dass Sie hier sind. Bei uns ist es die letzten Jahre friedlich gewesen. Ich muss gestehen, dass mich die Aufklärung der Morde überfordert.«
»Obwohl Ihr mit Werwölfen und Vampiren zusammenlebt?«
»Werwölfe sind ganz in Ordnung. Sie jagen am liebsten Wild in den Wäldern, und die Vampire, nun, sie lassen uns in Ruhe und halten die Vagabunden und Räuber in Schach.«
»Deswegen haben die Menschen also Angst vor diesem Gebiet?«
»Vermutlich. Wer ohne Einladung hierherkommt, darf nicht damit rechnen heimzukehren. Wobei einige Zigeunerfamilien gerne durch das Dunkle Territorium streifen. Die Vampire und Werwölfe sorgen dafür, dass die Menschen keinen Hunger leiden.
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