Alchemie der Unsterblichkeit
gläubiger Mensch zu sein. Leider war er nur nach christlichen Traditionen erzogen worden, ohne jemals das Vertrauen in Gott zu empfinden. Mit einem gefestigten Glauben wäre diese Situation viel leichter zu überstehen.
Icherios schreckte auf. Von draußen war ein Geräusch zu hören. Steinbrocken waren den Hang heruntergerollt. Er hoffte, dass nur ein Fuchs oder ein Hase der Verursacher gewesen war. Kolchin blickte ihm stumm in die Augen. Beide hielten die Luft an. Die Angst des Einen spiegelte sich im Gesicht des Anderen wider. Dann ertönte ein lautes Brüllen, und Tatzen schlugen gegen die Wand. Die Hütte erzitterte. Dann kehrte Stille ein. Icherios verspürte Todesangst, trotzdem beugte er sich zu dem Astloch vor und spähte in die Nacht. Es war nichts zu sehen außer den Wäldern, dem Mond und ein paar Sternen.
Doch plötzlich schob sich ein riesiges, gelbes Auge vor den Schlitz. Der Bär stieß ein weiteres Brummen aus. Seine Pranken schlugen wild auf die Hütte ein. Blut spritze aus seinem Maul durch die Löcher in der Wand und hinterließ ein Muster auf Icherios’ Weste. Ängstlich rutschten die beiden Männer an die hintere, gegen die Felswand gelehnte Wand. »Können wir auf das Dach klettern und dann den Hang hinauf?«
Kolchin schüttelte resigniert den Kopf. »Der Bär klettert besser als wir, und es ist viel zu steil.«
Icherios war nicht bereit aufzugeben. Die kleine Pause hatte seine Kampfgeister wieder geweckt. Verzweifelt versuchte er, an die Decke zu gelangen, um ein Loch hineinzuschlagen.
Der Flurhüter hingegen wurde immer ruhiger. »Füchse beißen sich manchmal eine Pfote ab, um einer Falle zu entkommen. Sobald der Bär reinkommt, rennt Ihr los. Kümmert Euch nicht um mich.«
Icherios fühlte Hoffnung in sich aufkeimen, unterdrückte sie aber sogleich voller Scham. Wie konnte er in Erwägung ziehen, einen Freund zurückzulassen! Vallentins Verlust war unerträglich gewesen. Er wollte nicht noch jemanden verlieren. »Niemals! Ihr habt Frau und Kinder! Falls einer zurückbleibt, dann ich!« Icherios überwand sich, diese Worte auszusprechen. Er war sich nicht sicher, ob er den Mut besaß, sich zu opfern.
»Meine Familie wird erst in Sicherheit sein, wenn die Morde aufgeklärt sind. Nur Ihr könnt sie retten.« Kolchin riss sich seinen Anhänger vom Hals und drückte ihn Icherios in die Hand. »Gebt ihnen das Amulett von mir und sagt ihnen, dass ich sie liebe.« Er packte Icherios Arm und zwang ihn einen Moment innezuhalten. »Bitte, tut es für mich!«
Icherios schüttelte den Kopf. Er wollte gerade etwas erwidern, als das Holz der Bretterwand zerbarst. Der Bär stürmte herein. Kolchin stieß Icherios zur Seite und hetzte mit einem kleinen Messer bewaffnet auf das untote Monster zu. Icherios fühlte sich elend und schämte sich, doch er rannte los. Ein lauter Schrei erklang in seinem Rücken. Im Laufen drehte er sich um. Kolchins Anblick brannte sich in sein Gedächtnis ein. Der Bär packte den Amtsmann und schleuderte ihn zu Boden. Dieser versuchte von dem Biest wegzukriechen, während bereits Blut aus seiner Schulter schoss. Mit einem befriedigten Grunzen folgte ihm das Ungetüm, denn jetzt hatte es keine Eile mehr. Sein Opfer lag bewegungsunfähig vor ihm.
Vom Grauen gepackt hielt Icherios inne. Dann nahm er ein Holzbrett zur Hand und stürmte schreiend auf den Bären zu. Das Monstrum beachtete ihn nicht, sondern richtete sich über dem Flurhüter auf. Icherios befürchtete, es nicht mehr rechtzeitig zu schaffen. Doch in dem Moment, als der Bär auf sein Opfer niedergehen wollte, stürzte ein schwarzer Schatten auf das Biest herab. Mit einem lauten Krachen gingen sie zu Boden. Icherios konnte im Dunkeln nicht erkennen, wer oder was ihnen zur Hilfe gekommen war, doch es schien menschliche Gestalt zu haben. Der Schatten huschte zur Seite, während der Bär sich mühsam aufrichtete. Eines seiner Beine war gebrochen und knirschte bei jedem Schritt. Das Monster bemerkte die Verletzung nicht, sondern wandte sich dem neuen Gegner zu. Der Schatten war jedoch zu schnell und gewandt für das schwere Tier. Immer wieder stürmte er auf den Bären zu, stieß einem Habicht gleich auf ihn nieder, um sogleich auf Abstand zu gehen. Es war ein tödlicher Tanz, der damit endete, dass der Schatten auf den Rücken des Biestes sprang. Ein Brüllen erklang, das abrupt verstummte, als er dem Ungetüm den Kopf abriss.
Ihr Retter richtete sich langsam auf. Ein bleiches Gesicht schimmerte im Mondlicht. Es
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