Alchemie der Unsterblichkeit
vorbei. Wolken verdunkelten den Mond und tauchten den Wald in tintenschwarze Dunkelheit. Der Rhythmus des hechelnden Atems der Wolfswesen schien im Einklang mit Icherios’ rauschendem Blut. Zweige und Dornenranken peitschten seinen Leib.
Endlich waren die Lichter Dornfeldes durch die Baumstämme zu sehen. Nur wenige Schritte später brachen sie durch das Dickicht auf die Wiesen. Icherios stürzte mit letzter Kraft auf das Stadttor zu. Die Worge jaulten vor Kampfeswut und bildeten einen schützenden Ring um sie. Sohon legte Kolchin ab und sprang mit einem einzigen Satz über die Mauer. Icherios hörte ein Quietschen, dann schwang das Tor auf. Der Fürst packte den Flurhüter an den Handgelenken und zog ihn in den sicheren Ort, während Icherios hinterhertaumelte. Die Worge folgten widerwillig. Immer wieder drehten sie sich knurrend um und fixierten sehnsüchtig die Irrlichter, die hinter ihnen lauerten.
Ihre Ankunft war nicht unbemerkt geblieben. Menschen kamen herbeigelaufen und halfen dem Fürst das Tor zu schließen. Kolchins Frau sank schluchzend neben ihrem Mann zusammen. Trotz seiner Erschöpfung und seines Schmerzes erkannte Icherios in ihr die Frau, die er in der Kirche gesehen hatte. Die Gewissheit lastete schwer auf seiner Brust. Mittlerweile waren sie von einem Ring hilfsbereiter Menschen umgeben, die auf sie einredeten. Kolchin erwachte stöhnend. Seine Frau übersäte sein Gesicht mit Küssen und brach erneut in Tränen aus.
Nachdem das Tor wieder fest verriegelt worden war, schob sich der Fürst durch die Menschenmenge hindurch zu den beiden Geretteten. Mit einem Lächeln beugte er sich zu Icherios hinunter, als wenn er ihm Mut zusprechen wollte. »Du siehst, du kannst mir nicht entkommen.«
Niemand anderes hatte ihn gehörte. Die Menschen nickten Sohon anerkennend zu, als er sich von der Menge befreite und mit seinen Worgen zum Schloss zurückkehrte.
Icherios nahm dankbar eine Decke an. Kolchins Frau hatte eine Trage organisiert, auf die der Flurhüter gehoben wurde. Er stöhnte bei jeder Erschütterung vor Schmerzen. Dann kam Rabensang mit großen Schritten herbeigeeilt. »Wir hatten solche Angst um Euch. Als Eure Pferde herrenlos in den Ort zurückgekehrt waren, ist Sohon sofort aufgebrochen.« Rabensang stieß erleichtert die Luft aus. »Bei den Wölfen, es tut gut, Euch zu sehen.«
Icherios wies alle helfenden Hände ab und wankte allein zum Haus des Bürgermeisters. Sein einziger Wunsch war, sich mit Laudanum zu betäuben und seine wirren Gedanken hinter sich zu lassen. Eines wusste er mit Sicherheit, dass er kurz davor war, seinen Verstand zu verlieren und obendrein sich selbst. Zudem fiel es ihm immer schwerer, den Fürsten von Sohon einzuordnen. Er glaubte nicht an Zufälle. Aber wenn Sohon der Mörder war und den Bären geschickt hatte, warum sollte er sie dann retten? Wollte er von sich ablenken und Icherios erschrecken? Oder war er doch nicht der Mörder? Wer sonst wäre in der Lage, einen Bären ins Leben zurückzurufen? Der Vampir verfügte über ausreichend Macht. Das hatte er eindrucksvoll demonstriert.
Icherios lehnte sich einen Moment lang gegen seine Zimmertür. Dann zog er seine schlammverschmierten Stiefel aus, gab dem besorgniserregend ruhigen Maleficium eine Nuss und ging zu seiner Tasche. Verborgen zwischen seinen Büchern befand sich das Fläschchen mit den beruhigenden Tropfen. Bevor er jedoch einen Schluck trinken konnte, hörte er ein leises Klopfen. Die Tür öffnete sich und Carissima trat ein. Hastig verbarg Icherios das Fläschchen hinter seinem Rücken. Maleficium verkroch sich unter das Bett. Er mochte keine Frauen.
Carissima war wunderschön, strahlte aber auch eine Gefahr aus, die Icherios faszinierend und abstoßend zugleich fand. Ihre weißen Fangzähne glänzten im Kerzenschein. Im Gegensatz zu ihrem Bruder versuchte sie nicht, diese zu verbergen. »Ich hörte von dem Angriff und wollte mich nach Eurem Befinden erkundigen. Mein Bruder vergisst nur zu gerne, wie schwach Menschen körperlich sind.«
Icherios wich einen Schritt zurück und stellte das Fläschchen hinter der Gardine ab. »Danke, mir geht es gut. Nur ein paar Prellungen und ein verdrehtes Knie. Ihr solltet Euch lieber um Kolchin kümmern. Er wurde schwer verletzt.«
Carissima machte eine wegwerfende Handbewegung. Selbst in dieser kleinen Geste schwang Eleganz und ein Hauch von Sinnlichkeit mit. »Seine Frau wird sich um ihn kümmern und die ganze Menschenbagage ebenso.«
Sie trat näher. Ihr
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