Alchemie der Unsterblichkeit
Wenn sie schon stirbt, sollte sie den Anstand haben, es leise zu tun.«
Icherios zuckte bei der Erwähnung von Maribelles Namen zusammen. »Dürfte ich Sie kurz allein sprechen?«
Der Bürgermeister vollführte eine abfällige Handbewegung in Richtung seines Gehilfen. »Geh schon!«
Für einen Augenblick verzog sich Kindels Gesicht voller Hass und Wut. Es war aber ein nur so kurzer Moment, dass Icherios sich nicht sicher war, ob er es sich nicht nur eingebildet hatte. Dann verschwand der junge Mann in der kleinen fensterlosen Kammer, in der er seinen Arbeitsplatz hatte, und schloss die dicke Tür hinter sich.
Bevor Arken weitertoben konnte, setzte sich Icherios demonstrativ gelassen hin und beobachtete ihn. »Pfarrer Bernsten erzählte mir, was Sie mit den Leichen getan haben. Ich kann verstehen, warum er zu so etwas fähig ist, aber wieso haben Sie sich darauf eingelassen?«
»Wovon sprechen Sie überhaupt?« Der Bürgermeister ließ sich nichts anmerken.
Icherios bewunderte ihn für seine Abgeklärtheit. Er war raffinierter, als er es ihm zugetraut hatte. »Die drei Leichen, die Sie in der Köhlerei verbrannt haben. Der Pfarrer hat es gerade in Gegenwart des Flurhüters Kolchin und seiner Frau gestanden.«
Arken sah ihm forschend ins Gesicht. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass Icherios nicht bluffte, sackte er zusammen. Plötzlich wirkte er noch älter und hässlicher als sonst. »Lef bat mich, ihm zu helfen. Sein Hass ist groß, und ich schuldete ihm etwas. Wen interessiert es schon, wo die Kadaver liegen? Gott oder der Teufel finden uns sowieso.«
»Was schuldeten Sie ihm denn?«
»Das soll nicht ihre Angelegenheit sein.«
Icherios gab sich fürs Erste damit zufrieden. Die Geschichten glichen sich ausreichend, um der Wahrheit zu entsprechen, und weder der Bürgermeister noch der Pfarrer passten in das Bild des Mörders. »In Ordnung, dann belassen wir es dabei. Ich würde gerne den Bären untersuchen, ginge das?«
»Er wurde zum Schloss gebracht. Die Leichenhalle ist inzwischen überfüllt. Ein Indiz dafür, dass Sie ihre Arbeit nicht erledigen«, brummte Arken.
Icherios ignorierte diese Spitze. Seine Versuche, ihn zu reizen und zu demütigen waren so unausgereift wie die Bemühungen eines kleinen Kindes. Betont höflich verabschiedete er sich.
Der Weg zur Festung gestaltete sich mühsam und war äußerst schmerzhaft. Icherios zog kurz in Betracht, einfach wieder in sein Bett zurückzukriechen. Aber die Angst vor einer Begegnung mit den Töchtern des Bürgermeisters hielt ihn davon ab. Er wusste nicht, wie er sich Loretta gegenüber verhalten sollte. Ihn plagte sein schlechtes Gewissen, sich mit Carissima eingelassen zu haben. Dabei konnte er sich noch immer vorstellen, mit Loretta zu fliehen. Aber nein, er sollte aufhören, sich mit diesen Gedanken abzugeben. Die Nacht mit Carissima ging schon gegen all seine Prinzipien, da sollte er nicht auch noch an eine Flucht mit Loretta denken.
Icherios’ Blick glitt hinüber zu den Fenstern der Festung. Das Tageslicht ermöglichte es ihm, durch sie hindurch in das Innere des Schlosses zu sehen. Halb verdeckt von schweren Samtvorhängen, konnte er Sohon sehen, wie er mit seiner Schwester stritt. So wütend hatte Icherios den Fürsten bisher noch nie erlebt. Selbst im Zorn hatte dieser sich immer noch beherrscht. Sohon gestikulierte wutentbrannt, dann schien Carissima ihn geradezu anzufauchen.
Icherios bemerkte erst, dass er selbst stehen geblieben war, als Sohon aus dem Fenster und ihm direkt in die Augen sah. Hastig senkte er den Blick und eilte zur Leichenhalle. Eine Leiche reihte sich an die andere. Merelle Sgund lag in der Mitte und verströmte den unangenehmen Geruch einsetzender Verwesung. Zwei eisenbeschlagene Kisten standen an der hinteren Wand, aus denen ein scharrendes Geräusch zu hören war. Den Bären hatte man auf drei zusammengeschobenen Tischen, die sich unter dem Gewicht des Tieres bogen, abgelegt. Vorsichtig schritt Icherios um das Geschöpf herum. Zaghaft berührte er den Schädel. Der blinzelnde Ghoul war ihm noch sehr lebhaft in Erinnerung. Wer wusste, ob das untote Wesen nicht auch noch mit abgetrenntem Kopf zubeißen konnte? Das Fell fiel an vielen Stellen ab. Die wenigen verblieben Fetzen hingen locker am Leib. Das graue, stinkende Fleisch bedeckte nur stellenweise die Knochen. Vor allem an den Gelenken blitzten weiße Knochen auf.
Icherios breitete seine Werkzeuge aus und griff zu seiner größten Klinge. Im Vergleich zu
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