Aldebaran
Alles war perfekt aufgeräumt. Es überraschte ihn, einen Stapel Bücher auf dem Schreibtisch zu finden. Abdul hatte nie ein Buch erwähnt, das er las oder gelesen hatte.
Abdul stand vor ihm, die Hände in den Taschen. Er trug blaue Shorts und ein großes, schwarzes T-Shirt.
»Na, was hat er für Dummheiten gemacht?«
»Was meinst du?«
»Tu nicht so, Diamantis. Nedim ist zweifellos ein prima Kerl, aber er baut verdammt viel Mist.«
»Jedem seine Geschichten, nicht wahr? Wenn ihm danach ist, wird er mit dir darüber reden. Du hältst es so, ich auch. Ich hab keinen Grund, schlechter von ihm zu denken als von uns.«
»Meine Geschichten oder deine, das sind persönliche Angelegenheiten. Aber auf diesem verfluchten Frachter bin ich Kapitän und habe gewisse Verantwortungen zu tragen. Ich übernehme sie, solange ich an Bord bin. Nedim wird uns Ärger machen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
Sie beobachteten sich schweigend. Diese Diskussion klang falsch. Das war ihnen beiden klar. Sie stritten sich über einen Seemann, als sollte die Aldebaran heute Abend in See stechen. Und das Erstaunliche war, dass sie früher nie so aneinander geraten waren. Wegen einem Seemann.
Diamantis ging gereizt auf Abdul zu. Als wollte er ihn schlagen. Abdul regte sich nicht, und Diamantis baute sich vor ihm auf.
»Hör zu, Abdul, ich will dir was sagen: Wir sind da, du, er und ich mit unseren Geschichten. Und was es auch ist, es hat mit diesem Schrotthaufen zu tun. Verdammt und zugenäht!«
Als Diamantis die Kabine verlassen wollte, hielt Abdul ihn am Arm zurück. Sie sahen sich an. In ihrem Blick lag Freundschaft.
»Was ist, kommst du jetzt essen?«, grinste Diamantis.
Sie hatten Reis gekocht, den sie mit Öl beträufelten. Dann teilten sie sich zwei Dosen Makrelen. Nedim brach das Schweigen. Immer musste er reden. Er konnte nicht anders.
»Gibts was Neues, wegen dem Schiff?«
»Warum? Willst du den Dienst wieder aufnehmen?«, witzelte Diamantis.
»Red keinen Quatsch! Das ist alles vorbei. Ich für meinen Teil kehre heim, heirate, baue ein kleines Geschäft auf und genieße das Leben. Ich habe lange darüber nachgedacht, man sieht was von der Welt, man amüsiert sich, man vernascht Frauen aller Farben, und mit fünfzig steht man plötzlich da, allein oder betrogen. Wie denken Sie darüber, Kapitän? Hab ich nicht Recht?«
»In Rouen«, sagte Abdul, ohne auf Nedims Frage einzugehen, »ist die Legacy verkauft worden. Das hab ich heute Morgen gehört. Das erste Gebot lag bei siebenhundertfünfzigtausend Dollar. Sie sind bis auf eine Million fünfunddreißigtausend Dollar raufgegangen.«
Diamantis pfiff durch die Zähne.
»Weißt du, wer den Kahn abgeschleppt hat?«
»Eine Gesellschaft aus Panama, wie üblich. Die Talgray Shipping Inc ….«
»Sagt dir das was?«
»Hmhm«, grinste Abdul. »Man munkelt, das ist ein Deckname für den alten Eigner.«
»Ah! Und wer ist das?«
»Derselbe wie unserer.«
»Arschloch!«, entfuhr es Nedim. »Gottverdammtes Arschloch! Wir verhungern, und der kauft sich ein neues Schiff.«
»Ja«, stimmte Abdul zu, »aber die Legacy ist ein verdammt gutes Schiff. Hundertsechzehn Meter. Knapp zwanzig Jahre alt. Eine feine Sache.«
»Wie viele waren an Bord?«
»Zwei.«
Abdul sah Diamantis an. »Der Kapitän und sein Erster Offizier. Die acht Besatzungsmitglieder waren vor einigen Monaten gegangen. Wie ihr«, bemerkte er und schaute Nedim an.
»Na, na! Ich bin noch hier. Wenn wir morgen verkauft werden, will ich schon noch was abhaben, nicht wahr?«
»Du hast dein Geld bereits bekommen. Und offiziell bist du gar nicht mehr da. Schon vergessen?«
»Kennst du den Kapitän?«, erkundigte sich Diamantis.
»Ein junger Kerl. Antonio Ramirez, ein Chilene. Neununddreißig. Vierzig Mal um die Welt gefahren. Ich hatte ihn einmal als Ersten Offizier, auf einer Fahrt nach Madagaskar. Vor zehn Jahren.«
Die Legacy hatte vor einem Jahr in Honfleur angelegt, um Dünger anzuliefern. Doch im Hafen hatte Ramirez sich geweigert, die Schläuche anzuschließen, um die Fracht zu löschen, solange die Löhne nicht ausgezahlt würden. Seit sechs Wochen war niemand bezahlt worden. Der Reeder rückte daraufhin hundertzweiundfünfzigtausend Francs raus, aber den Männern war das nicht genug.
Ramirez beschloss, die Legacy nach Rouen zu bringen. Dort erklärte sich die Hydroagri France bereit, dreihunderttausend Francs vorzustrecken, um ihre Ware freizukriegen. Diese wurde dann auf Anordnung von Ramirez
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